"Jede Stufe kostet Umsatz"

BRAUNEBERG. Es gibt immer noch viele Barrieren im Kopf. Anders ist es nicht zu erklären, dass viele Einrichtungen für Behinderte aber auch für immer mehr alte Menschen nicht zu erreichen sind.

 Anita Reichert, Heinrich Wolfgang Bachelier (links) und Günter Rösch präsentieren den "Rolli-Wegweiser Mittelmosel".Foto: Clemens Beckmann

Anita Reichert, Heinrich Wolfgang Bachelier (links) und Günter Rösch präsentieren den "Rolli-Wegweiser Mittelmosel".Foto: Clemens Beckmann

Es gibt Leute, die verwöhnen sich am Geburtstag mit einer Reise, einem Konzertbesuch oder einem guten Essen. Anita Reichert hat sich mit einem kleinen Büchlein verwöhnt, das sie zudem auch noch selbst zusammen gestellt hat. Statt sich beschenken zu lassen, hat sich die Vorsitzende des Bundesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter (BSK), Bereich Mittelmosel, selbst in die Arbeit gestürzt und den "Rolli-Wegweiser Mittelmosel" erstellt. Darin listet sie unter anderem Geschäfte, Gaststätten, Straußwirtschaften und Ärzte sowie öffentliche Einrichtungen auf, die barrierefrei zu erreichen sind, beziehungsweise über Behindertenaufzüge verfügen. Dazu kommen Behinderten-Parkplätze und Toiletten, die von Rollstuhlfahrern benutzt werden können.Thematik ist nicht ohne Brisanz

Die Angaben erstrecken sich auf die Moselgemeinden von Kröv bis Piesport. "Mehr war in der Kürze der Zeit nicht machbar", erläutert Reichert, warum das Kreisgebiet in diesem Bereich nicht vollständig erfasst wurde. In einer überarbeiteten Auflage will sie auch diese Orte präsentieren. Die Thematik ist nicht ohne Brisanz. Anita Reichert: "In Deutschland wird gesagt, die Mosel sei behindertenfeindlich. Sagt man das hier, wird man angegriffen." Deshalb habe sie sich aufgemacht, um zu erkunden, wo zum Beispiel behinderte Urlauber essen oder trinken können, ohne Barrieren überwinden zu müssen. Wer glaubt, es gehe dabei um Nischenangebote, wird von Heinrich Wolfgang Bachelier (BSK-Landesvertretung Rheinland-Pfalz) eines Besseren belehrt. "In Rheinland-Pfalz sind 20 Prozent der Menschen auf Barrierefreiheit angewiesen", sagt er. Natürlich sitze nicht jeder Fünfte im Rollstuhl. In einer Gesellschaft, die immer älter werde, gebe es aber immer mehr alte Menschen, für die Treppen unüberwindlich seien. Mütter und Väter, die einen Kinderwagen schieben, dürften ebenfalls nicht vernachlässigt werden. "Jede Stufe kostet zehn Prozent Umsatz", sagt Bachelier. Reichert und Bachelier klagen nicht an, sondern wollen sensibilisieren. "Oft wird einfach nicht an diese Menschen gedacht", sagen sie. Ein enormes Wirtschaftspotenzial liege brach. Das sieht auch der SPD-Sozialexperte und Landtagsabgeordnete Günter Rösch so. "Barrierefreiheit ist eine wichtige Voraussetzung, damit behinderte Menschen das eigene Leben selbst bestimmen und gleichberechtigt am Alltag teilnehmen können", sagt er. Seine Forderung: "Eine barrierefreie Kommune muss in die Köpfe aller Menschen, besonders aber in die Köpfe der Kommunalpolitiker." Es gebe Gesetze, die mit Leben erfüllt werden müssten. "Die Broschüre ruft danach, dicker zu werden", sagt Anita Reichert und ermuntert die Leute, ihr Adressen zu nennen, wo ein barrierefreier Zugang möglich ist. Die aktuelle Auflage wird unter anderem bei den Verkehrsämtern ausgelegt.

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