Jedes Jahr ein neues Puppenkleid

WITTLICH. (peg) Das Weihnachtsfest war auch früher wichtig. Zwei Damen erinnern sich für den TV an ihre ganz persönlichen Heiligen Abende: Maria Musseleck aus Wittlich, Jahrgang 1920, und Ursula Scharberth, Jahrgang 1938, die in Berlin aufwuchs.

Sie lebte als Katholikin in der absoluten Diaspora, sagt Ursula Scharberth. Berliner waren meist evangelische Christen, und so gehörte für die kleine Ursula der Besuch ihrer Freundin Ragnhild am Heiligen Abend zum festen Ritual. "Sie stand immer schon um 23 Uhr vor der Tür, weil sie unsere Christmetten so schön fand." Gemeinsam mit der ganzen Familie - der Vater war nicht an der Front - ging sie mit zur Kirche, die damals in einer alten Militärbaracke lag. Es war Krieg, und auch nach 1945 herrschte große Not: Die wenigen Plätzchen waren mit Melasse gebacken, die Knödel aus amerikanischen Trockenkartoffeln gekocht, und den Festbraten des 25. Dezember, ein Kaninchen, hatte der Vater auf dem Balkon gehalten. Als Laubenpieper hatten sie auch einen kleinen Vorrat an Gemüse für den Winter anlegen können. "Alle Berliner waren damals Laubenpieper", erzählt Scharberth. "Jeder erntete auf seinem ganz persönlichen Stückchen Land in ehemaligen Parks und Grünstreifen." Noch vor der Christmette fand die Bescherung statt. "Wir haben Gedichte vorgetragen, viel gesungen, und vor allem Spiele gespielt", sagt Scharberth. Am liebsten "Nimm-Pott", vom Papa selbst erfunden, der ein glückliches Händchen hatte beim Zelebrieren großer Feste, erinnert sich Scharberth. Zu essen gab es stets Kartoffelsalat und Würstchen - eine Köstlichkeit in den kargen 40er Jahren. Einmal gab es eine Puppe vom Christkind. "Eine richtige kleine, alte Schildkröt-Puppe", schwärmt Scharberth. Die hat mit ihr die Kriegs- und Nachkriegswirren überlebt: Immer zum Weihnachtsfest frisch eingekleidet, war sie für das Mädchen jedes Jahr "neu". Auch bei Maria Musseleck drehte sich Weihnachten alles um eine Puppe, zumindest an einem ganz bestimmten Weihnachtsfest: Im Jahr 1925 war es, als die Eltern ihr das Prunkstück schenkten, das alle Wittlicher Mädchen in den Wochen zuvor im Schaufenster von Bohlen-Musseleck bewundert hatten. Zwei Puppen hatten damals die Kinderherzen höher schlagen lassen: die eine in einem blauen, die andere in einem rosa Kleidchen. "Meine Puppe wurde die im blauen Kleid", sagt die Dame, deren Altertümchen bis heute einen Ehrenplatz im heimischen Wohnzimmer hat. Vom eigenen Stühlchen schaut sie dem weihnachtlichen Treiben zu. Neu eingekleidet ist sie, und die Schuhe an ihren Füßen trug einst der erste Enkel Peter.Das Glöckchen bimmelt, die Augen leuchten

Maria Musseleck war das älteste von fünf Geschwistern. Während der gesamten Adventszeit besuchten alle die Horate-Messe um 6.30 Uhr. Zur Christmette ging die Familie am ersten Weihnachtstag um 5 Uhr morgens. Danach riefen die Glocken noch mehrmals zur Christmette: Viele Christen besuchten damals an den hohen Feiertagen mehrere Messen. Um 11 Uhr fand die letzte statt, allgemein die "Männermesse" genannt, weil die Frauen bereits schnippelten, kochten und den Tisch deckten. Wenn der Großvater zu Weihnachten kam, gab es seine Leibspeise: Hasenpfeffer. Die Bescherung richtete sich nach dem Dienst des Vaters, der als Eisenbahner auch schon mal am Heiligen Abend arbeiten musste, erinnert sich Musseleck: Mal war sie morgens, mal abends. Das Glöckchen bimmelte, mit leuchtenden Augen traten Kinder und Erwachsene in die gute Stube, in der ein geschmückter Baum, eine Krippe, ein Teller und die Geschenke warteten. Die Puppe bekam stets ein neues Kleid, das war das schönste für das Mädchen. Der heutige "Konsumterror" zu Weihnachten ist ihr fremd. Geschenke möchte Maria Musseleck seit Jahren nicht mehr. Ihre Einstellung: "Was ich brauche, das kauf ich mir, und was ich nicht brauche, das will ich nicht."

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