Knöllchen für Mama und Papa

WITTLICH. Morgens, kurz vor acht Uhr: Vor den Schulen und den Kindergärten herrscht das Chaos. Eltern karren ihre Kinder im eigenen PKW zum Unterricht und missachten sämtliche Regeln, die sie für die Führerscheinprüfung alle einmal gelernt haben.

Es ist jeden Tag das gleiche Spiel: Kurz vor Beginn und kurz nach dem Ende der Unterrichtszeit stehen die lieben Eltern kreuz und quer auf den Bürgersteigen, in den Bushaltebuchten, auf den Wiesen, ja sogar auf den Zebrasteifen herum. Keinen Meter mehr zu Fuß, scheint die Devise für den Nachwuchs zu lauten, sondern am besten mit dem Auto bis vor den Klassenraum gefahren. Viel Arbeit für die Politessen, die sich jahrein, jahraus die immer gleichen Ausreden anhören müssen. Rücksichtslos den Gehweg zugeparkt

Besonders ungeordnet geht es vor den Grundschulen Friedrichstraße und Wengerohr zu, vor Cusanus-Gymnasium und Realschule sowie vor dem Kindergarten in der Karrstraße, erläutern die drei Wittlicher Politessen Ruth Fatter, Claudia Martin und Ingrid Müller. Da wird rücksichtslos der komplette Gehweg zugeparkt, so dass den Schülern gar nichts anderes übrig bleibt, als auf die Fahrbahn zu wechseln. Da stehen sie mit laufenden Motoren in den Buchten, die ohne Ausnahme allein den Bussen vorenthalten sind. Und wehe, die Damen vom Ordnungsamt sprechen sie darauf an. "Ich bin sofort wieder weg." - "Jetzt machen Sie mal ´ne Ausnahme." - "Wo soll ich denn sonst parken?" - "Sie würden besser da und da aufschreiben." Das sind die freundlichen Varianten, die den Politessen zu Ohren kommen. Dabei sind sie in der Regel sehr kulant, verwarnen zunächst mündlich und lassen den Falschparkern die Chance, sich 100 Meter weiter hinzustellen. Erst, wenn sie frech werden oder sich taub und stumm stellen, greifen sie zum Knöllchenblock, der schon lange ein tragbarer Handcomputer ist, und übergeben die Verwarnung an den uneinsichtigen Fahrzeuglenker. Dabei kann es auch schon mal zu Beleidigungen und Handgreiflichkeiten kommen. Die gehen dann allerdings richtig ins Geld. Unfreundliche Varianten à la "Das geht dich gar nichts an!" sind häufig. Auch Busfahrer Alfred Kuhn kennt das. Wenn jemand den Bus blockiert, notiert er sich das Kennzeichen, und der Arm des Gesetzes geht seinen Weg. Als der Trierische Volksfreund gemeinsam mit Ingrid Müller unterwegs vor Realschule und Cusanus-Gymnasium war, zeigten sich alle angesprochenen Autofahrer einsichtig. "Ich hol ja nur meine Tochter ab", sagt die Dame im roten Kleinwagen. "Sie stehen auf einer Bushaltestelle", klärt Müller auf. "Meiden Sie in Zukunft bitte diesen Platz." Und dann macht sie den Vorschlag, zum Beispiel auf dem nur wenige Hundert Meter entfernten Viehmarktplatz zu parken: Dort sei stets genug Platz. Die Autofahrerin quittiert diese freundliche Anregung mit einem Achselzucken. Der Herr im Jeep, an der Aussprache deutlich als Amerikaner zu erkennen, tut erstaunt, als er erfährt, dass er auf dem Gehweg vor dem ehemaligen Haus der Jugend, den er auf seiner ganzen Breite blockiert, nicht parken darf. "Wo haben Sie denn ihren Führerschein gemacht?", fragt Müller, nicht anmaßend, sondern freundlich lächelnd. Der Herr versichert, sich ab sofort an die Verkehrsregeln zu halten. Es sei gar nicht nötig, ihm eine Verwarnung auszustellen; ein aufklärendes Verkehrsschild hätte gereicht, meint er. Das ist laut Straßenverkehrsordnung allerdings nicht nötig: Nur, wenn das Stehen auf dem Gehweg ausdrücklich erlaubt wird, stellt die Straßenmeisterei ein entsprechendes Schild auf. Macht der Gewohnheit: "Alle stehen hier."

Die Dame, die 50 Meter weiter den gleichen Fehler begeht, ist eindeutig deutscher Abstammung, hat also ganz sicher in der Fahrschule von den Regeln erfahren. Dennoch wird auch sie nur mündlich verwarnt. Sie begründet ihr Verhalten mit der Macht der Gewohnheit. "Alle stehen hier." Falls sie allerdings ein Verwarnungsgeld zahlen müsste, würde sie es vorziehen, in der Zukunft ums Eck oder auf dem Viehmarktplatz auf ihre Kinder zu warten. Diesen Standpunkt vertreten alle, die an diesem Tag vom TV danach befragt werden. Das gute, alte Knöllchen als erzieherische Maßnahme scheint seinen Zweck zu erfüllen. Auch wenn sie fluchen über die angeblich so unverschämte, hartherzige Politesse, die wir als außerordentlich kulant erleben: Über das eigene Portemonnaie wären die Autofahrer offenbar allesamt zu disziplinieren.

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