Kulturgut Wein in den Fängen der Bürokratie

Immer mehr wird die Weinbaupolitik von Brüssel aus bestimmt. Jüngstes Beispiel: Die EU-Kommission will die europäische Weinmarktordnung reformieren. Das hätte gravierende Folgen auch für die Moselwinzer. Der TV war in Brüssel vor Ort und erhielt dort Einblicke in den komplizierten und verästelten Bürokratendschungel. Spanier, Portugiesen, Franzosen, Italiener, Deutsche, Österreicher, Griechen, Ungarn, Rumänen: Alle haben unterschiedliche Interessen, alle versuchen über die unterschiedlichsten Wege Einfluss zu nehmen, um die Reform nach ihrem Willen zu gestalten.

 Weinbereitung in einer Großkellerei: Vor allem in Übersee wird Wein größtenteils wie ein „Industrieprodukt“ hergestellt. Foto: DWI

Weinbereitung in einer Großkellerei: Vor allem in Übersee wird Wein größtenteils wie ein „Industrieprodukt“ hergestellt. Foto: DWI

Brüssel. Wein ist viel. Wein ist Kultur, ist Genuss, ist Lebensqualität. Und Wein ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. In Brüssel ist Wein zunächst einmal eine große Menge. Es gibt zuviel davon in Europa, und deshalb ist der Wein ein Problem. Es wird in Europa viel mehr erzeugt, als konsumiert wird. Vor allem aber: Die Weine aus der "neuen Welt", aus Amerika, Australien, Südafrika, Argentinien und Chile drängen immer stärker auf den europäischen Markt. Europa kann diese Menge mit seinen eigenen Exporten in diese "Drittstaaten" nicht ausgleichen. Wein ist in diesen Drittstaaten ein Industrieprodukt. Großkonzerne produzieren riesige Mengen Einheitswein, geschmacklich mit neuesten technischen Verfahren perfekt auf den Verbrauchergeschmack abgestimmt. Es sind Fabrikweine, die der Konsument, der sich im Supermarkt bedient, gefällig findet. Es sind "gestylte" Weine. Sie haben keinen Charakter, wie zum Beispiel ein ganz individueller Steillagen-Riesling von der Mosel. Brüssel will den europäischen Weinmarkt reformieren. Es gibt nicht wenige in Brüssel, die aus dem europäischen Wein ebenfalls ein Industrieprodukt machen wollen - aus Wettbewerbsgründen. Damit man besser mit den Überseeweinen konkurrieren kann. Rund 1,5 Milliarden Euro umfasst der Etat für den Weinbereich. Brüssel will das Geld anders verteilen. Viel Geld floss bislang in "Wein-Vernichtungs- Maßnahmen". Riesige Mengen Wein wurden in den vergangenen Jahrzehnten für viel Steuergeld zu Alkohol destilliert. Nun will Brüssel unter anderem die Rodung von Weinbergsflächen fördern. Zunächst dachte die EU-Kommission an 400 000 Hektar, jetzt sind es "nur noch" 200 000 Hektar, immer noch doppelt so viel, wie die deutsche Weinanbaufläche beträgt. Über eine Milliarde Euro will sich die Kommission das in den kommenden fünf Jahren kosten lassen. Reben in der Kölner Bucht?

Gleichzeitig schlägt Brüssel - was völlig paradox anmutet - vor, das Anpflanzungsverbot von Reben ab dem Jahr 2014 völlig aufzuheben. Dann könnten, um nur einmal von Deutschland zu sprechen, Reben in der Kölner Bucht oder Mecklenburg-Vorpommern angebaut werden. Diese und andere Vorschläge hat die Kommission im Juni 2006 erstmals auf den Tisch gelegt. Es geht auch um önologische Maßnahmen - wie zum Beispiel die Verwendung von Saccharose zur Mostanreicherung, es geht auch um den Schutz von Herkunftsbezeichnungen (man denke zum Beispiel an die deutschen Lagenbezeichnungen), es geht um Etikettierungsvorschriften, um Rodungsprogramme, und es geht letztlich darum, wer von den 1,3 Milliarden Euro am meisten absahnt.Szenenwechsel: Wir sitzen im Raum ASP A5G3 des Europaparlaments in Brüssel. Dort findet eine Anhörung des Landwirtschaftsausschusses des Europaparlaments statt. Experten äußern sich zu den Vorschlägen der Kommission, die Abgeordneten hören zu und tragen ihre Vorstellungen vor. In schalldichten Kabinen am Rand des Saals sitzen rund 20 Dolmetscherinnen, die jeden Wortbeitrag in die zahlreichen Sprachen übersetzen.Jetzt geht es für die Abgeordneten wieder einmal darum, Einfluss zu üben, andere zu überzeugen, Mitstreiter zu gewinnen, um Änderungen der Reformvorschläge durchzusetzen.Unter den Abgeordneten sind auch Christa Klaß aus Osann-Monzel und Werner Langen aus Müden. Beide sind Moselaner. Sie wissen um die Brisanz der Reform, und sie wollen mit allen Mitteln "das Schlimmste" verhindern. Schlimm für die deutsche Weinwirtschaft wäre ein Verbot der Verwendung von Saccharose. Schlimm wäre auch, wenn lediglich nur noch die Namen der bestimmten Anbaugebiete und die Namen der Landweingebiete automatisch dem Schutz des Systems unterfielen. Was bedeuten würde, dass alle anderen geografischen Angaben, in Deutschland sind dies über 3000, in einem aufwendigen Verfahren als Ursprungsbezeichnungen geschützt werden müssten.Langen und Klaß sind sich einig: Wein ist ein Kulturgut, nicht nur ein beliebiges Produkt. Sie ärgern sich, weil die dänische EU-Agrar-Kommissarin Fischer-Boel, die im November vorigen Jahres noch in Bernkastel-Kues war (der TV berichtete), die bisherigen Änderungsvorschläge des Parlaments nicht in ihrem Entwurf zur Weinmarktreform übernommen hat. Die Kommission hat diesen Entwurf im Juli dieses Jahres vorgestellt. Vor allem die nördlichen Weinbauländer wie Deutschland, Luxemburg, Österreich, aber auch Teile von Frankreich sind entsetzt. Der Berichterstatter des Landwirtschaftsausschusses in Sachen Weinmarktreform ist ein Italiener. Er heißt Giuseppe Castiglione. Was wird er in seinen Bericht schreiben? Wird er die Bedenken zum Beispiel der deutschen Abgeordneten aufgreifen und entsprechend würdigen? Bislang hält er sich bedeckt. Das Parlament hat prinzipiell nur eine beratende Funktion. Den Gesetzesvorschlag machen Beamte der Kommission, der Ministerrat entscheidet letztlich. Doch das Papier des Ministerrates, es wird wohl wie so oft ein Kompromiss sein, kann nicht ohne Stellungnahme des Parlaments verabschiedet werden. Castiglione will darüber im Februar kommenden Jahres abstimmen lassen. Letztlich kommt es also auf den Einfluss der Bundesregierung an. Kann sich Horst Seehofer gegenüber seinen Agrar-Ministerkollegen durchsetzen? Zurück in die Mühlen der Brüsseler Bürokratie und des komplizierten Verfahrensdschungels.In der Anhörung kommen Experten zu Wort: ein Italiener, ein Österreicher, ein Luxemburger, ein Spanier. Der Österreicher Josef Glatt, er ist Direktor des Weinbauverbandes, teilt die deutsche Position. Mit europäischem Geld werde der Markt für Drittlandsweine geöffnet, befürchtet er. Das Verbot der Saccharose, und stattdessen die Zuckerung mit subventioniertem Traubensaftkonzentrat aus Italien oder Spanien, ist für ihn völlig unakzeptabel. Er will wie die Deutschen, dass das viele Geld für nationale Unterstützungsmaßnahmen verwendet wird. Und er sagt: "Es darf nicht zu einer Industrialisierung des Weinbaus kommen. Ein großes kulturelles Erbe steht auf dem Spiel."Illegale Rebflächen in Italien?

Auch der Italiener Riccardo Ricci Curbastro, er ist Präsident des italienischen Dachverbandes zum Schutz der Ursprungsbezeichnungen, führt das Argument an, Wein sei ein Kulturgut. Allerdings hält er das Verbot der Saccharose für richtig. Werner Langen spricht ein Thema an, das den Italienern nicht gefallen dürfte. 120 000 Hektar Rebfläche seien in den vergangenen Jahren illegal gepflanzt worden. Später wird ein italienischer Abgeordneter in einer Pressekonferenz allen Ernstes sagen, dass man diese Flächen nicht mehr aushauen könne, weil dort gute Weine erzeugt würden. Ein portugiesischer Abgeordneter entgegnet Christa Klaß in der Frage der Zuckerverwendung: Die Deutschen würden behaupten, die Römer hätten den Weinbau nach Deutschland gebracht, und würden stets auf die Tradition verweisen. Kopfschütteln nicht nur bei den Deutschen

 Weinlese an der Mosel: Die Arbeit in den Steillagen ist beschwerlich. Für die guten Rieslingweine bestehen keine Absatzschwierigkeiten. TV-Foto: Archiv/Winfried Simon

Weinlese an der Mosel: Die Arbeit in den Steillagen ist beschwerlich. Für die guten Rieslingweine bestehen keine Absatzschwierigkeiten. TV-Foto: Archiv/Winfried Simon

Der Zucker sei aber doch erst im 16. Jahrhundert nach Europa gebracht worden. Und er sagt: "Wegen der Verwendung von Rübenzucker kommen Weine auf den Markt, die sonst nicht erzeugt würden." Kopfschütteln bei den Deutschen, Luxemburgern, Österreichern, aber auch bei den Franzosen. Christa Klaß kontert: "Wir erlauben es den Amerikanern, für ihre nach Europa exportieren Weine Zucker zu verwenden, und wir schlagen uns hier darüber die Köpfe ein."Schließlich ergreift ein schottischer Abgeordneter das Wort, der ebenfalls meint, zur Weinmarktreform etwas sagen zu müssen. Sein Vorschlag: Der Weinerzeuger solle doch einfach auf das Etikett draufschreiben dürfen, was immer er wolle. Es müsse nur stimmen. Meinung Brüsseler "Weinkultur" In diesen Tagen stehen die Moselwinzer in den Weinbergen, lesen die Trauben und freuen sich auf hervorragende Qualitäten. Vielen Winzern in Österreich, Italien, Frankreich, Spanien und anderen Weinbauländern geht es nicht anders. Jetzt ernten sie nach einem spannenden Jahr die Früchte ihrer Arbeit. Sie wollen nur eines: gute Qualitäten erzeugen und dafür anständig entlohnt werden. In Brüssel kümmert man sich auch um den Wein. Dort geht es aber weniger um das Kulturgut Wein, sondern um die Frage, wie der Weinmarkt "geordnet" werden kann. Die Schlagworte dazu lauten: Etikettierungsvorschriften, Pflanzrechte, Rodungsprämien, Interventionsmaßnahmen, Krisendestillation, Traubensaftkonzentrat, Mostbeihilfen etc. Vor allem aber: Transfer von Finanzmitteln. Wer - Italiener, Spanier, Portugiesen, Griechen, Deutsche, Österreicher und noch ein paar andere - kann sich das größte Stück vom Finanzkuchen abschneiden? Wird das Geld besser für Rodungsmaßnahmen ausgegeben oder für Steillagenförderung? Für Weinvernichtung oder Absatzförderung? Die Moselwinzer, die jetzt im Weinberg stehen, bekommen davon nur am Rande etwas mit. Für sie ist Wein kein beliebiges Produkt, schon gar nicht ein Industrieprodukt, wie dies viele in Brüssel sehen. w.simon@volksfreund.de

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