"Lösche aus mein Vergehen"

Wittlich. Den verfemten Künstlern des dritten Reiches war ein Konzert des Ensembles Vocal "Grenzgänger" gewidmet, das noch in den Kanon des 27. Januar gehörte. In Zusammenarbeit mit dem Wittlicher Emil Frank Institut gestaltete Martin Folz einen Abend mit tiefgreifendem Inhalt.

Seit der 27. Januar auf Vorschlag von Altbundespräsident Roman Herzog zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus erklärt wurde, hat sich für die Aufarbeitung dieser dunklen Geschichtsepoche eine große Chance aufgetan. Ausdrücklich ist nicht die Rede nur von den jüdischen Opfern, sondern von allen Opfern der Nazizeit, wodurch der oft zu eng gefasste Focus die notwendige Weite erhält. Damit soll das Leid, das die Juden erfahren haben, nicht relativiert werden, es soll nicht davon abgelenkt werden, dass dieses Volk die größte Last zu tragen hatte. Aber es können sich andere Gruppen gleichberechtigt an seine Seite stellen und das Recht einfordern, dass auch an sie erinnert wird. Diesen Weg des Erinnerns ging das Ensemble Vocal "Grenzgänger" unter der Leitung von Martin Folz in Zusammenarbeit mit dem Wittlicher Emil Frank Institut mit einem Konzert in der Wittlicher Synagoge. Bei der Programmzusammenstellung - es trug den Titel "Fallende Sterne" - hatte Folz alle verfemten Musiker und Künstler des dritten Reiches im Blick. So stand die Musik des evangelische Kirchenmusikers Hugo Distler gleichberechtigt neben Hanns Eisler, der russisch-orthodoxe Igor Strawinsky neben Viktor Ullmann. An den Anfang stellte Folz ein Fragment aus Gregorio Allegris "Miserere", der Vertonung des 51. Psalms ("Sei mir gnädig, o Gott, nach deiner Gnade lösche aus meine Vergehen"), die Jahrhunderte lang die Liturgie der Karwoche im Vatikan bestimmt hat. Gleichsam als wolle Folz deutlich machen, dass es Schuld gebe, die nach menschlichem Ermessen nicht ausgelöscht werden könne, ließ er die sehr klangschöne Komposition plötzlich und unerwartet in sehr dissonante Klangcluster enden.Es kann keine Vergebung geben

Hier war keine Gewissheit mehr, dass ein sich erbarmender Gott, gleich welcher Religion, das geschehene Unrecht vergeben würde. Hier stand deutlich das verzweifelte Bewusstsein im Raum, dass es keine Vergebung geben kann. Der erste Teil des Konzertes blieb auch in dieser Stimmung, etwa durch den Klagepsalm "De profundis" des zeitgenössischen Komponisten Vic Nees. Der zweite Teil des Abends war mit Kompositionen von Eisler und Ullmann sowie den Uraufführungen von Abendland III des Trierer Kirchenmusikers Alfred Müller-Kranich und einer Litanei des Luxemburger Komponisten Camille Kerger ganz dem Erinnern gewidmet. Insbesondere Kerger zeigte, wie vielen Menschen dieser Abend gewidmet war, in dem er den Chor, unterlegt von Texten von Bertolt Brecht, die Namen der Künstler deklamieren ließ, die unter dem dritten Reich zu leiden hatten. Nach den Verzweiflungsschreien der ersten beiden Teile wurde der beschließende dritte Teil sehr leise. An einen Gott, der sich nicht in konfessionelle Schranken weisen lässt, richteten die Sängerinnen und Sänger aus Luxemburg und Trier Friedensbitten israelischer, russischer und deutscher Herkunft. Den Schlusspunkt setzte das "Verleih uns Frieden" von Felix Mendelssohn Bartholdy. Der Applaus war eine sehr verdiente Würdigung der künstlerischen Leistung des Ensembles. Ein größeres Kompliment für die Ausführenden war jedoch die lange Dauer, in der die Konzertbesucher anschließend noch in Gesprächen zusammen standen. Sie zeigte, welch tiefe Eindrücke das Erlebte hinterlassen hatte.

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