Männern aufs Dach steigen

ANDEL. Wirtschaftliche Erwägungen brachten Karin Oster dazu, sich zusätzlich zu ihrem Mann zur Dachdeckermeisterin ausbilden zu lassen. Kein einfacher Weg für eine Frau, aber ein Glücksfall für ihren Betrieb.

 Hier ist sie über den Dächern von Wittlich: Dachdeckermeisterin Karin Oster in ihrem Element. Foto: Lena Mager

Hier ist sie über den Dächern von Wittlich: Dachdeckermeisterin Karin Oster in ihrem Element. Foto: Lena Mager

Behände und sicheren Fußes schwingt sich Karin Oster über die oberste Gerüststange, um die letzten Meter an einer Holzleiter über das steile Schieferdach zurückzulegen. Unter ihr gähnen zwölf Meter Abgrund. Winzige Menschen sitzen dort auf dem Wittlicher Rathausplatz in einem Café und essen Eis. "Tja,", lacht die stets strahlende dreiundvierzigjährige Mutter von drei Kindern hoch über ihnen, "schwindelfrei müssen Sie in diesem Job schon sein."So, wie sie da auf dem Steildach steht, sicher und selbstbewusst, während des Gesprächs immer ein Auge für die Arbeit ihrer Leute, begleitet von einem freundlichen, scherzhaften Wort, gewinnt man den Eindruck, dass diese Frau ihrem Beruf mit Leidenschaft nachgeht. Karin Oster schüttelt den Kopf; die große Liebe war es nicht unbedingt. Vielmehr standen wirtschaftliche und versicherungstechnische Erwägungen im Vordergrund. Die bange Frage, die jeden Familienbetrieb in Deutschland umtreibt: Was passiert, wenn der Meister ausfällt? Karin Oster fackelte nicht lange; pragmatisch und zupackend, wie es ihre Art ist, entschloss sie sich selber Meisterin zu werden, um den Betrieb und damit die Familie im Falle eines Unglücks ihres Mannes weiterleiten zu können. Das war in den 80er Jahren.Mehr Augenmerk aufs Marketing

Und damals waren die Bedingungen für eine Frau in dieser Branche noch unwägsamer als heutzutage, wo Frauen in so genannten Männerberufen auch auf dem Lande weniger Aufsehen erregen. Geholfen habe ihr, rekapituliert Oster, dass sie zehn Jahre älter war als ihre Mitauszubildenden an der Handwerkskammer Trier. "Die Jungs waren hart, aber herzlich", erinnert sie sich lachend. Die Dachdeckerlehre war außerdem bereits Osters zweite Ausbildung, von Hause aus ist sie Augenoptikerin.Mit dem weiblichen Meister kam 1986 nicht nur mehr Zukunftssicherheit in den Betrieb, sondern auch ein Schwung neuer Ideen. So hat Karin Oster schnell erkannt, wie wichtig Marketing und die neuen Medien für ihre Handwerksbranche sind. Beides Bereiche, die in ihrer Ausbildung an der Handwerkskammer nur rudimentär Erwähnung fanden. Ein großer Fehler, wie sie findet. Eine professionelle Website und ständig neue Ideen, um den eigenen Betrieb zu vermarkten und zu bewerben, gehören für sie mit zur Basis eines erfolgreichen Unternehmens. Daneben ist sie sich auch der gesellschaftlichen Verantwortung als Handwerksbetrieb in Deutschland bewusst. "Ausgebildet wird bei uns auf jeden Fall!", stellt sie fest, obwohl sie die überhand nehmende Bürokratie und politische Entwicklung mit Sorge sieht.Und wie sind ihre Erfahrungen als Meisterin mit Kunden, die in der Regel ja auch alle männlich sind? Die Meisten wollten wohl schon lieber mit Herrn Oster sprechen, lächelt seine Frau nachsichtig. Hin und wieder versuche ein Scherzbold sie auch schon mal boshaft mit fachlichen Fragen aus der Kurve zu werfen. Aber ansonsten ist sie mit der Akzeptanz hoch zufrieden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort