Mit Hänschen in die Welt

WITTLICH. "Konzeptionell gibt es kein Zurück mehr in die Zeiten, als Kindergärten vor allem Verwahr-und Erziehungseinrichtungen waren", sagt Ernie Schaaf-Peitz, Leiterin der Kita Wittlich-Neuerburg. Sie fordert im TV -Interview die politische Durchsetzung einer neuen Pädagogik.

Was wäre sinnvoll, um im Kindesalter Qualität auch in Sachen Bildung zu sichern? Erni Schaaf-Peitz: Sinnvoll wäre, die neurobiologischen Forschungsergebnisse sowie wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse über ‚Frühkindliche Bildung' als Grundlage ernst zu nehmen. Das heißt, eine neue Pädagogik, dazu Investitionen in die frühkindliche Bildung in Tageseinrichtungen für Kinder sowie Schulen plus eine Aufwertung des Berufsbilds sowie entsprechende Ausbildung der Pädagogen. ‚Nur das Beste für unsere jüngeren Kinder' sagen die Pädagogen aus den nordischen Spitzenländer der Pisastudie. Wieso konnten Kindergartenkinder bisher nicht ausreichend gefördert werden? Schaaf-Peitz: Im Rahmen des Rechtsanspruchs wurden Kindertagesstätten ausschließlich unter dem Aspekt der Betreuung - Vereinbarkeit Familie und Beruf - betrachtet und ausgebaut. Seit Pisa rückt endlich die Bildung in den Vordergrund. 14 Bundesländer haben Bildungspläne für Tageseinrichtungen vorgelegt, auch Rheinland-Pfalz. Wichtig ist, die Umsetzung der Bildungsempfehlungen in den Einrichtungen fachlich zu begleiten und zu unterstützen sowie zu bewerten. Welches Kindergartenklischee im Zusammenhang mit Bildung amüsiert Sie am meisten? Schaaf-Peitz: ‚Ach, die spielen ja nur den ganzen Tag'! - Das Spielen ist eine Voraussetzung für die Entwicklung und das Lernen des Kindes im frühkindlichen Bildungsbereich. Es wäre gut, wenn dies an Bedeutung und Respekt seitens der Erwachsenen und politischen Entscheidungsträger gewinnen würde. Welche Weichen müssten jetzt gestellt werden? Schaaf-Peitz: Jedes Kind muss auf seinem individuellen Bildungsweg begleitet werden. Bildung ist das Potenzial und Zukunft unserer Gesellschaft! Das Kind steht mit seiner individuellen Persönlichkeit im Vordergrund und möchte als solche wahrgenommen und wertgeschätzt werden! Bildungspläne sollten dem Grundprinzip ‚Lernen zu lernen' verpflichtet sein. Es geht in der frühkindlichen Erziehung nicht darum, Kindern häppchenweise Wissen einzutrichtern. Aber Bildungspläne allein ohne entsprechende Arbeitsbedingungen für Erzieher können die pädagogische Qualität nicht verbessern. Zum Dokumentieren der Ergebnisse der Bildungsprozesse von Kindern brauchen Erzieher Zeit: Ein Drittel der Arbeitszeit sollte der Vor- und Nachbereitungszeit gehören. Zum Beispiel um gezielte Sprachförderung anzubieten, bedarf es kleinerer Gruppen. Die Ausbildung der Erzieher sollte auf Hochschulniveau angehoben werden. Wo könnten die Systeme Kita/Grundschule kooperieren? Schaaf-Peitz: Wichtigster Bestandteil ist die Zusammenarbeit in der frühkindlichen Bildungs-und Erziehungsarbeit. Eine gute Kooperation gilt als Voraussetzung, um den Kindern den Wechsel in die Schule zu erleichtern. Außerdem steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Frage einer frühzeitigen Einschulung im Sinne der Kinder gut beantwortet wird, wenn Eltern, Kita und Schule an einem Tisch sitzen, denn es geht um das eine, gleiche Kind. Wichtig sind dabei die Schaffung von Zeitressourcen, gemeinsame Fortbildungen für Erzieher und Lehrer, auch um eine gemeinsame Augenhöhe zu schaffen. Elementare Lernprozesse in Kita und Grundschule fordern die Rolle des Pädagogen hier und dort. Oft wird argumentiert, die so genannte Bildungsmisere (Pisa) sei auch ‚hausgemacht': durch Vernachlässigung der Kinder durch die Eltern, insbesondere wegen berufstätiger Mütter. Schaaf-Peitz: Nirgendwo in Europa gibt es so ein traditionelles Verständnis von Mutterschaft wie bei uns in Deutschland. Sehr viele Mütter erklären sich allein verantwortlich für die Kindererziehung. Da ist es kein Wunder, dass ihnen bei Misserfolgen auch schnell die Schuld zugeschoben wird. Pisa hat an den Tag gebracht, dass unser deutsches gegliedertes Bildungs- und Schulsystems ein System der Selektion und Ausgrenzung ist. Dies geht jedoch an der Lebenswelt vorbei. Jedes Kind muss einen rechtlich garantierten Anspruch auf Bildung, Erziehung und Betreuung in einer Tageseinrichtung haben. Dieser Rechtsanspruch muss beitragsfrei sein. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, in die Bildung der Kinder zu investieren. Noch immer stellen wir dafür zu wenig Geld zur Verfügung. Es ist unerlässlich, dass Kinder mit Kindern gemeinsam in Bildungseinrichtungen viele Stunden erleben können. Hervorzuheben ist, dass nicht die Quantität, sondern die Qualität der Zeit wichtig ist, die Mütter und Väter mit ihren Kindern verbringen. S Die Fragen stellte unsere Redakteurin Sonja Sünnen.

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