"Mit dem Schicksal versöhnt"

KINHEIM-KINDEL. "Auf sich allein gestellt" hat Günther Schatz sein Buch genannt. Wer nun meint, aus diesem Satz Verbitterung herauszuhören, der irrt. Der Autor beschreibt sich selbst als "mit dem Schicksal versöhnt", und wer ihm gegenüber sitzt, sieht seinem Schmunzeln an, dass er die Wahrheit sagt.

Jahrzehntelang baten die Töchter Martina und Kerstin ihren Vater Günther Schatz, all die Geschichten, die er in ruhigen Stunden so gern erzählte, endlich aufzuschreiben. Seit geraumer Zeit bettelten auch die Enkel mit. Ihr Erfolg liegt mit daran, dass der 71-Jährige im Ruhestand endlich die Muße hat, die es zum Bücherschreiben braucht. Begonnen hat Günther Schatz' Leben an einem denkwürdigen Tag - am 30. Januar 1933. Damit beginnt er auch sein Buch. "Womit sollte ich wohl sonst anfangen?", fragt er lächelnd. Er will nicht mehr und nicht weniger, als einen ungeschminkten Einblick zu geben in die historischen Zusammenhänge, in denen sich sein persönliches Leben abgespielt hat. Die Geschichten sind eingebettet in die gesamteuropäische Tragödie der 30er und 40er Jahre: Gleichaltrige werden sich zumindest in Teilen wiederfinden. Geboren wurde Günther Schatz in Allstedt (Thüringen) - dort, wo Dichterfürst von Goethe einst die besten Rekruten samt der Pferde zusammen suchte für den Großherzog von Weimar. Auch einige Verse soll er auf der Burg geschrieben haben. Die liegt oberhalb einer Landschaft, die es Günther Schatz für immer angetan hat. Er litt zwar nie unter Heimweh, und gewohnt hat er an vielen Orten Deutschlands, bis es ihn 1995 an die Mosel verschlug. Doch wenn er von der Goldenen Aue erzählt, beginnen seine Augen zu leuchten. Regelmäßig fährt er hin - erst seit die Mauer gefallen ist, darf er das wieder. Und eine seiner Enkelinnen liebäugelt inzwischen selbst mit dieser Region. Bewusst schreibt Schatz seine Erinnerungen in kurzen Artikeln nieder. "Ich will die Leute nicht langweilen", erklärt er. So erhellt sich auf 260 Seiten - ergänzt mit einigen Schwarz-weiß-Fotos - das Lebensumfeld eines in den 30er Jahren geborenen Deutschen.Mit der Ziege zum stinkenden Bock

Von Plumpsklos und Wasserpumpen, vom alljährlichen Gang mit der Ziege zum stinkenden Bock, von Kernseife und Waschbrett, von Hausschlachtungen, Pökelwannen und abendlicher Zerstreuung mit der Mundharmonika ist die Rede. Erfahrungen, die er wie das Kartoffel- und Maikäfersammeln mit allen aus seiner Generation teilt. Nach der Kriegs- und Schulzeit wird es individueller: Schatz verliert im Arbeiter- und Bauernstaat seinen Job und läuft Gefahr, festgenommen zu werden. Diesen wahrscheinlich rettenden Tipp bekommt er von einem Kumpel. Rasch zieht Schatz die Konsequenzen und wechselt aus Ost- nach Westdeutschland - ohne Ausbildung, ohne Geld, ohne Familie. Auf seiner Flucht im Frühjahr 1953 tarnt der damals 20-Jährige sich mit überdimensionalen DDR-Sportabzeichen und mimt den Betrunkenen. Er hat Glück. 1956 kommt seine heutige Gattin Ingeborg nach. Ihre Ausreise ist eine Geschichte für sich: Weil DDR-Beamte sie durch einen Irrtum für außerordentlich linientreu hielten, reiste sie damals ganz legal aus - und kam nie mehr zurück. "Wo ein starker Wille ist, findet man bekanntlich auch einen Weg." Dieser Satz beendet die Geschichte "Auf dem Prüfstand der Pädagogischen Akademie Worms" - eine der letzten im Buch, seinem Erstlingswerk, wie der 71-Jährige augenzwinkernd bemerkt. Der Mann, der bis zu seiner ersten Anstellung als Lehrer - für die er sich zuvor den sächsischen Akzent abtrainieren musste - mit unzähligen Jobs sein Geld verdient hat, unterrichtete unter anderem im Jugendhof Wolf und in Talling. Er war Rektor einer Sonderschule in Hanau und in Maintal bei Frankfurt. Obwohl er weniger fest verwurzelt ist als viele andere Menschen: In Kindel fühlt er sich wohl. Der direkte Blick auf die Mosel versüßt ihm die Pension. Und wer weiß, vielleicht gibt es ja irgendwann auch eine Fortsetzung des Erstlingswerks... Günther Schatz: "Auf sich allein gestellt" ist erschienen im TRIGA-Verlag, Gelnhausen, ISBN-Nummer 3-89774-376-0, 11,90 Euro.

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