Mit einem Bein im Kittchen

WITTLICH. Klicker für ein Zigeunermädchen, Butterbrote für KZ-Häftlinge, Hochzeit mit dem Erbfeind: Maria Benteur hat sich stets ihr ganz eigenes Bild vom Leben gemacht.

"Ich hab den ganzen Krieg über immer mit einem Bein im Kittchen gestanden." Das wird im Nachhinein gern und oft behauptet. Im Fall von Maria Benteur aber stimmt es. Die furchtlose Frau kannte keine Angst vor Andersdenkenden. Im Gegenteil: Wenn sie in der Holzindustrie mit den KZ-Häftlingen vom Afferberg arbeitete, wünschte sie ihnen selbstverständlich einen "Guten Tag" und schmuggelte "Schmieren" und Obst ein. "Kind, so viel kannst du doch gar nicht essen", wunderte sich die Mutter regelmäßig. Verliebt hat sich Maria - minderjährig - ausgerechnet in einen französischen Kriegsgefangenen, der von 1940 bis 1945 mit Leidensgenossen in der ehemaligen Synagoge lebte. Die Eltern bekamen erst Wind davon, als sie unmittelbar nach dem 21. Geburtstag die Papiere zur Ausreise beantragte. Maria ging mit ihrem Emile nach Frankreich. Schon als Kind hatte sie einen eigenen Kopf. Wenn Zigeuner in der Stadt waren, zogen sie am Elternhaus vorbei zum Lagerplatz "in de Blechkaul" im heutigen Sporgraben. Da war ein Mädchen, das ein paar Groschen sein eigen nannte. "Mit dem bin ich Klicker kaufen gegangen", erinnert sich Maria Benteur, sehr zum Leidwesen ihrer Mutter, die selbst jederzeit mit Nähgarn, Wasser oder sonst was aushalf. Unten an der Lieser vor dem Haus saßen die Zigeuner und flochten jene Weidenkörbe, mit denen sie ihren Lebensunterhalt verdienten. Maria stammt aus einer angesehenen Wittlicher Familie. Großvater und Vater Marschall entwarfen fleißig Häuser und Kirchen. "Alle Häuser mit einem Türmchen sind von Marschalls gebaut worden", bringt es Jürgen Schmidt, der Maria seit Jahrzehnten kennt, auf den Punkt. Seine Familie war 1938 in das Haus am Sporgraben gezogen. "Erinnerst du dich noch, Maria, wie du dem Emile Bier gekocht hast?" Natürlich: Die Zutaten waren aus Frankreich, geschmeckt hat es scheußlich, aber Emile hat sicher brav alles ausgetrunken, flachsen die beiden. Und dann sehen sie sich alte Fotos an: Emile mit einer Katze auf dem Arm und mit Maria im Arm, die Kriegsgefangenen aus der Synagoge - Maria kennt sie noch alle mit Namen - als Theatertruppe und als Jazzband. Das eigene Akkordeon hat sie dafür hergeliehen, das ihr später die Amerikaner klauten, die 1945 für einige Tage in ihrem Haus lagerten. "Wir mussten alle raus." Die Marschalls ebenso wie die hochschwangere junge Frau von unten - schwanger von einem Franzosen. Es waren wilde Zeiten, auch später in Frankreich, wo sie als Deutsche allerhand zu hören bekam. "Geholfen hat mir ausgerechnet der größte Kommunist im Dorf", sagt sie. "Tische, Stühle, Sachen für unsere Tochter Marianne: Alles hat er besorgt." 1950 kamen sie zurück: Ein Bruder war gefallen, der andere in russischer Gefangenschaft, da musste sie sich um die Eltern kümmern. Emilie begann dort, wo er als Gefangener aufgehört hatte: bei Eisenwaren Lütticken, diesmal gegen Lohn. Maria Benteur kann wirklich Geschichten erzählen: von sich, von Wittlich, von der Entwicklung vom Erbfeind zum wichtigsten Freund in Europa. Immer sind sie authentisch, weil sie die Geschichten ge- und erlebt hat. Dieser Tage feiert sie einen runden Geburtstag: Näheres darf nicht verraten werden. Schließlich kommen außer zwei Kindern, fünf Enkeln und zwei Urenkeln auch Verwandte aus Frankreich. Da kann sie keine unangemeldeten Gratulanten gebrauchen. Dennoch gratuliert der TV der Jubilarin.

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