Nicht allein und nicht ins Heim

HINZERATH. Kreativ ins Alter - nicht allein und nicht ins Heim. Diesen Traum hat das Künstlerehepaar Bruni Kluss und Rüdiger Luckow schon lange geträumt. In Hinzerath haben sie ihn nun verwirklicht.

Vor 30 Jahren erlebte Rüdiger Luckow, wie seine Mutter ihre letzten Jahre in einem Pflegeheim verbrachte. So will ich nicht alt werden, hat er sich damals gesagt. Heute weiß er, dass er in vertrauter Umgebung, mit seiner Frau und Freunden sein Alter genießen kann. "Es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass man in vertrauter Umgebung alt werden kann", sagt Bruni Kluss. "Hier ist einer für den anderen da. Wir übernehmen Verantwortung und helfen einander, so gut es geht. Ob es ums Einkaufen geht, oder wenn einer krank ist. Dann besucht man sich, kocht einen Tee oder setzt sich ans Bett, das gehört alles dazu." Vor dreieinhalb Jahren taten sie den ersten Schritt. In ihrem Haus in Hinzerath war eine Wohneinheit frei, die sollte vermietet werden. Das Paar rief einen guten Freund an, Jörg Gliese, bot ihm an, bei ihnen zu wohnen. "Es war am 5. Oktober 2000", erinnert sich dieser. "Eine Woche habe ich überlegt, mit meiner Familie und Bekannten geredet. Ich entschied, zu meinen Freunden zu ziehen", sagt er. "Wer weiß denn, ob die Kinder nicht irgendwann wegziehen? Mit dieser Entscheidung habe ich sie in gewisser Weise freigesprochen." Er sei gerne alleine, sagt er, und es sei ihm wichtig, dass jeder ein Reich für sich habe. Man könne sich zurückziehen, alleine sein, und es bestehe doch die Möglichkeit, Gesellschaft zu haben. Mit vielen Helfern wurde eine dritte Wohneinheit gebaut. Die Suche nach geeigneten Mitbewohnern ging los. "Wichtig ist," meint die Töpferfrau Kluss, "dass die Chemie stimmt." Sie wurden fündig. Anfang Februar bezog das Ehepaar Evelyn und Dietmar Wünsch die fertig gestellten Räume. Sie sind die "Jüngsten" und beide berufstätig. "Bei der Arbeit hat man schon komisch geguckt", sagt die Neue im Team. Was wollt ihr in einer Alten-WG, war eine häufige Frage. Aber als sie ihre Beweggründe erklärt habe, seien die Kollegen nachdenklich geworden, erzählt Evelyn Wünsch. Denn in diesem Fall heiße "Alten-WG", mit Freunden und kreativ alt zu werden. Allen Bewohnern stehen die Werkstätten des Künstler-Ehepaars offen. Sie können töpfern, schnitzen, malen, trommeln. Gerade findet ein Workshop über Filztechnik statt. Nicht selten heißt es am Abend dann: "Kommt ihr mit ins Kino?" "Das sind unsere Highlights," sagt Bruni Kluss. "Unsere Gemeinschaft lebt von den Ideen aller." Kino, Theater, Konzerte, Essen gehen, das tun die Bewohner der WG so oft wie möglich. Denn: In Gemeinschaft macht es einfach mehr Spaß. Es tue auch gut, wirft Dietmar ein, abends mit Freunden über den Tag zu sprechen. Viele Probleme würden kleiner, wenn man darüber geredet habe. Unstimmigkeiten gibt es natürlich auch, aber die werden gleich ausgeräumt. Bruni Kluss lacht: "Ja, dann ist es Jörg, der damit anfängt. Er sagt dann, er habe nachgedacht, dann wissen wir schon Bescheid." Jeden Dienstag lädt er zum Essen ein, da kommt in lockerer Runde alles auf den Tisch, nicht nur ein feines Essen. Dann ist auch Nachdenklichkeit angesagt. Beispielsweise, wenn es um das Thema Sterben geht. Doch eines wissen alle: Niemand, der hier wohnt, wird einsam sterben. Niemand, der hier dem anderen die Hand hält, wird nachher alleine sein. "Es darf nicht sein," sagt Rüdiger Luckow, "dass jemand einen Menschen pflegt, dann in ein Loch fällt und alleine zurückbleibt." "Wir werden alle sterben", sagt er, "aber wir lernen fröhlich, über unsere Endlichkeit zu sprechen. Andere werden unsere Plätze einnehmen und das Projekt wird weitergehen."

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