Nicht nur von Pappe

BERNKASTEL-WITTLICH. Obwohl jeder weiß, dass Tetra-Paks in den gelben Sack gehören, werden die Helfer des Dreck-weg-Tages am kommenden Samstag auch in diesem Jahr wieder viele in der Natur finden. Wie sinnvoll es aber ist, sie durch den gelben Sack einer Weiterverwertung zuzuführen, erfuhr der Trierische Volksfreund aus erster Hand.

Es war einmal eine ganze Palette Tetra-Paks: Achteckig, wasserdicht, luft- und blickdicht, wie Tetra-Paks eben so sind. In der Fabrik, in der sie aus Schichten von Pappe, Aluminium und Polyethylen hergestellt worden waren, holte sie ein großer Lastwagen ab und kutschierte sie zu den Hochwald-Nahrungsmittelwerken nach Saarbrücken. Noch waren die Tetra-Paks ganz platt und eng zusammengefaltet, was mindestens zweien gar nicht passte. "Kurt", beschwerte sich Tetra-Lisa bei ihrem Bruder, der nur wenige Sekunden älter war als sie, "ich kann gar nicht richtig Luft holen!" "Du musst noch ein bisschen Geduld haben", riet Tetra-Kurt. Er wusste bereits, dass es nicht lange dauern würde, bis seine ganze Familie als Behälter für frische, kühle Vollmilch dienen würde. Und er wusste, dass das Leben der Tetra-Paks ausgesprochen spannend sein kann.Eine Woche später in der Hochwald-Lagerhalle: Ein Gabelstapler ergriff unsere Tetra-Paks und bugsierte sie auf das Förderband, nun endlich zu ihrer vollen Größe aufgeblasen - Lisa räkelte sich zum ersten Mal in ihrem Leben -, und genau ein Liter köstlicher, frischer Eifel-und Hunsrück-Milch wurde in sie hineingefüllt. Zugeklebt - und weiter auf den nächsten LKW: diesmal ein Kühlwagen. Am nächsten Morgen fanden sich Lisa und Kurt in aller Herrgottsfrühe auf dem Hof eines Supermarktes wieder. Die Sonne ging gerade auf. Lisa war begeistert: "Hier möchte ich bleiben!" Kurt verdrehte die Augen. "Blöde Ziege", dachte er. Er sagte jedoch: "Lisa, wir gehören nicht in die Sonne. Wir müssen doch auf die Milch aufpassen."Zweites Leben als Müsli-Packung

Ruck-zuck ging es ins Kühlregal, ganz nach hinten in die Reihe, weil ihre gestern angelieferten Verwandten ein früheres Ablaufdatum hatten. Gegen Abend flitzte Frau Rose aus Wittlich mit ihrer Tochter durch den Laden. Dreimal in der Woche holten sie sechs Liter Milch im Supermarkt, denn zu Hause waren sie zu fünft: Da geht einiges über den Tisch. So standen Lisa und Kurt gegen 19 Uhr auf dem Abendbrottisch Roses und blinzelten sich glücklich an. "Schön, so gebraucht zu werden", flüsterte Lisa ihrem Bruder zu. Müsli, Obstquark, Kakao, Schokopudding: Die Milch wurde in der Tat gebraucht. Binnen weniger Minuten waren Lisa und Kurt leer, Herr Rose quetschte sie zusammen - Lisa stöhnte: "Aua!" Und ab ging es in den gelben Sack. "Ist jetzt schon alles vorbei?", fragte eines Nachts ängstlich Lisa ihren Bruder. "Ach, wo denkst du hin!", prahlte der mit seinem großen Wissen. Und er sollte Recht behalten: An einem Donnerstag stellte Herr Rose ein Dutzend gelbe Säcke an den Straßenrand, wo sie von einem lärmenden Lastwagen abgeholt wurden. Ab ging es, diesmal in den Trierer Hafen. Kurt hatte gerade noch Zeit, sein Schwesterchen zum Abschied zu küssen - dann wurde der Inhalt ihres ganzes Sackes auf ein Förderband geworfen. Wieder Lisas "Aua!" Mitten im Müll lag sie, kleinlaut, und hatte Angst, dass das Infrarot-Gerät, von dem Kurt ihr erzählt hatte, sie übersehen könnte. Aber das Gerät funktionierte, und in dem für Tetra-Paks vorgesehenen Schacht kam sie, wie herrlich, genau neben ihren Bruder zu liegen. Wieder wurden sie verpresst, diesmal allerdings so platt, wie Lisa es niemals für möglich gehalten hätte: 500 Kilogramm wog der Ballen, in dem sie zur Papierfabrik nach Düren gebracht wurden. Dort kam Lisa, nun endgültig getrennt vom großen Bruder, in eine riesige Waschtrommel. Ganz schlecht wurde ihr von dem vielen Drehen im Wasser. Doch der Vorgang erfüllte seinen Zweck: Die Pappschicht quoll auf, löste sich von den beiden anderen Schichten und wurde abgesiebt. Lisa staunte nicht schlecht, als sie nicht kaputt ging, sondern sich nach schwindelerregenden Transporten und Verarbeitungsvorgängen als Müsli-Packung in der Küche der Roses wiederfand. "Herrje, welch ein Abenteuer", sagte sie zu selbst. "Na, hab ich dir zu viel versprochen?", kicherte jemand zurück. Es war doch tatsächlich Kurt, der in Gestalt seines früheren Papieranteils ebenfalls in Wittlich gelandet war, und der den Gedanken seiner erwachsen gewordenen Schwester amüsiert gelauscht hatte. "Wo um alles in der Welt steckst du?", rief Lisa überglücklich. Da hatte sie ihn entdeckt: Er stand auf dem Kühlschrank: als Karton für eine 60-Watt-Glühbirne.

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