Nimm Abschied und lebe

Den Tod als Teil des Lebens zu sehen, fällt schwer. Der TV hat mit drei Menschen gesprochen, die andere in ihrer Trauer begleiten: einer Künstlerin aus der Nähe von Wittlich, einem Therapeuten aus Trier und einem Pater aus Pronsfeld in der Eifel.

Trier/Wittlich/Pronsfeld. Am Grab stehen. Friedlich. Denn das Leben geht weiter. An den anderen denken und ganz in Gedanken vielleicht sogar schmunzeln. Den Tod akzeptieren. Bis dahin ist es ein weiter Weg. Manche der Menschen, die an Allerheiligen und Allerseelen ihre Mütter, Väter, Kinder oder Freunde auf dem Friedhof besuchen, sind bereits weit auf ihm gegangen. Andere stehen noch ganz am Anfang. Es ist ein Weg, den viele nicht alleine zurücklegen wollen und können. Eine Künstlerin, ein Pater und ein Therapeut helfen Menschen, ihn zu gehen. Der Pater

"Leben ist unterwegs sein", sagt der Eifeler Pater Norbert Tix. Unterwegs zum Ziel. Und daran denke er an Allerheiligen und Allerseelen. Früher, da habe man in drei Schubladen sortiert: die streitende Kirche (das Leben auf Erden), die leidende Kirche (die Seelen im Fegefeuer) und die triumphierende Kirche (die Heiligen). Mit dem Fegefeuer habe er nicht so die Erfahrung, aber: "Ich würde das heute ganz anders formulieren", sagt der Pater. Für ihn ist Allerheiligen und Allerseelen eine Einheit. Man denkt an alle, die das Ziel des Lebens schon erreicht haben: die Gemeinschaft mit Gott. Nicht nur an die Heiligen, "die in der Kirche eine Lobby haben".In seinen Pfarreien begegnet der Pater dem Tod. Auch im Prümer Krankenhaus, wo er als Seelsorger arbeitet. Wenn er eine Ansprache hält, dann sagt er den Trauernden oft: "Unsere Toten sind nicht weggegangen. Sie sind vorausgegangen. Wenn wir an den Gräbern stehen und an die Toten denken, dann denken die auch an uns und hoffen, dass wir das Ziel nicht aus den Augen verlieren." Er glaubt, dass viele Menschen diesen Dialog auch hinkriegen. "Sonst würden sie nicht so oft an die Gräber gehen."Der Therapeut

Wolfgang Drehmann ist Leiter der Trierer Lebensberatung. Zu ihm und seinen Kollegen kommen Menschen in allen Phasen der Trauer. Es kommen die, deren Schmerz noch ganz frisch ist. Die nicht wahrhaben wollen, dass der Mensch unwiderruflich tot ist. Die, an denen Schuldgefühle nagen. Die Zornigen. Wütend sind sie, weil der andere sie alleine gelassen hat. Es kommen aber auch die, die noch nie richtig getrauert haben. Erst Jahre später, vielleicht, wenn die Ehe zu zerbrechen droht, wird ihnen klar, dass sie den Tod des ungeborenen Kindes nie verarbeitet haben. Drehmann hört ihnen zu. Sie dürfen alle ihre Gefühle zulassen. Ihre eigenen Gefühle. Dieses Nicht-Wahrhaben-Wollen, Fassungslosigkeit und Zorn sind Phasen, die viele Trauernde durchlaufen. Oft folgt darauf die Suche nach einem Weg, wie man die Trennung gestalten kann - Rituale. Drehmann erzählt von einer Frau, die sonntags immer eine Zigarre anzündet. So wie ihr Mann das getan hatte. "Auch Allerheiligen gehört zu diesen Ritualen", sagt er. Ein schönes Ritual - denn oft finde sich die Familie am Grab wieder. Und irgendwann müssten Trauernde anfangen, sich neu mit der Welt in Bezug zu setzen. Ihr Leben wieder zu leben.Die Künstlerin

Zwei goldene Kugeln, schwer liegen sie in der Hand. Manche der Menschen, die zur Bildhauerin Christine Nicolay kommen, legen sie irgendwo auf die Halbkreise des "Erzählsteins" und erzählen, wo sie gerade stehen. Mit sich und ihrer Trauer. Die meisten kommen zur Künstlerin, um ihren Abschied zu gestalten. Im übertragenen wie im wörtlichen Sinn. Denn es geht oft um Grabsteine, die Trauernde in Begleitung Nicolays selbst behauen. Ein Prozess, der ihnen Raum gibt: zum Trauern, zum Erinnern, zum Abschied nehmen. "Ein heilsamer Prozess", sagt Nicolay. Die Menschen kämen durch die körperliche Arbeit wieder in ihren Körper hinein. Spüren sich wieder. Vielleicht zum ersten Mal nach einer langen Zeit, in der sie keinen Sinn mehr darin gesehen haben, sich anzuziehen, aufzustehen oder den Garten zu machen. Bei der Arbeit werde viel aufgebrochen. Nicolay erzählt von einer Frau, die ihre ganze Familie bei einem Unfall verloren hat. "Durch die Arbeit am Gedenkstein hat sie auf einmal noch einen Zipfel davon bekommen, wie es sich anfühlt, wenn man im Leben steht", sagt die Künstlerin. Warum gerade der Tod? "Weil ich mich mit dem Leben beschäftige", sagt die Künstlerin lachend. Denn wie das Werden, so gehöre das Vergehen zum Leben.

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