Noch immer lockt die Jugendliebe an die Mosel

TRABEN-TRARBACH. Filmreif ist die Geschichte von Berta Mittelmann aus Traben-Trarbach und Walter Hanschen aus Wilhelmshaven. Ihr Leben schrieb das Drehbuch: 1935 lernten sich die beiden an der Mosel kennen, erst 60 Jahre später trafen sie sich wieder und sind seitdem nahezu unzertrennlich. Mehrmals im Jahr reist Walter Hanschen von der See an die Mosel, um seine Jugendliebe zu besuchen.

Mit 14 weiteren jungen Männern verließ der 19-jährige Walter im Sommer 1935 Wilhelmshaven. Eine 14-tägige Reise an Mosel und Saar erwartete die Gruppe als Auszeichnung für einen guten Prüfungsabschluss auf der Marinewerft. Von Enkirch kommend, wanderte die Schar mit ihren Tornistern auf dem Berg in Richtung Traben-Trarbach, wo sie für eine Nacht in der Jugendherberge am Bahnhof angemeldet war. "Unten sahen wir auf einmal einen Umzug mit 20 jungen Mädchen in Trachten, eine hübscher als die andere", erinnert sich Walter Hanschen, und alle waren sich sogleich einig: "Da müssen wir hin!" Mit ihren dunkelblauen Manchesterhosen und hellblauen Hemden mit gelben Kragen passten sie wunderbar in die Gruppe, die anlässlich des Weinfestes zum Festzelt am Trarbacher Moselufer zog. Es folgte ein feucht-fröhlicher Abend beim Moselwein, der Herbergsvater war von einigen Mädchen darum gebeten worden, ein Kellerfenster offen zu lassen. "Um 10 Uhr hätten wir auf unseren Zimmern sein sollen, aber wir kehrten erst um 3.30 Uhr in die Herberge zurück", sagt Hanschen, der an diesem Abend seinen ersten Kuss von der damals 17-jährigen Berta Sartor bekam. "Sie war die treibende Kraft", lacht er, doch am nächsten Morgen um 7 Uhr, als die Männer nach Trier weiter reisten, war sie nicht am Bahnhof. Etliche junge Mädchen hatten sich eingefunden und waren traurig, dass die fröhlichen Norddeutschen weiterzogen. Immerhin wurden durch diese kurze Begegnung an der Mosel zwei Ehen gestiftet. Walter Hanschen und Berta Sartor blieben in Briefkontakt. Fotos und Postkarten tauschten sie aus, doch nach etwa einem Jahr schlief die Verbindung ein. Walter Hanschen wurde Zahnarzt und heiratete am 12. Juni 1940 seine Liselotte, Berta Sartor ehelichte am 10. Mai 1941 ihren Kurt Mittelmann.Wiedersehen nach 60 Jahren

Im Jahr 1995 kommt Hanschen mit einer Gruppe von Campern erstmalig wieder an die Mosel und erinnert sich an seine Freundin aus der Schottstraße. Tatsächlich findet er sein "Bertchen" wieder, und die Freude ist groß. Beide sind inzwischen verwitwet, nach genau 53 Ehejahren waren ihre Partner verstorben. "Berta hatte den gleichen Konfirmationsspruch wie meine Frau", sagt Hanschen und berichtet über weitere Zufälle. Kurt Mittelmann geriet in einem Dorf bei Witebsk in russische Gefangenschaft, Hanschen war im gleichen Ort als Infanterist eingesetzt. "Berta hatte einen Bruder namens Fritz, und so hieß auch der Bruder meiner Frau". Nach genau 60 Jahren nimmt Hanschen nun wieder am fröhlichen Weinfest in Traben-Trarbach teil und hat Bertchen an seiner Seite. Die 77-jährige Moselanerin folgt ihrem 79-jährigen Walter in den Norden und lebt bei ihm in Wilhelmshaven, "in wilder Ehe", wie Hanschen schmunzelnd anmerkt. Beide unternehmen viele Reisen, doch nach einem schweren Sturz wird Berta Mittelmann pflegebedürftig und benötigt einen Heimplatz. Sie zieht zurück an die Mosel und wird seit anderthalb Jahren im Ida-Becker-Haus betreut. Mehrmals im Jahr macht sich Hanschen auf den Weg an die Mosel und ist dann immer eine Woche bei seinem Bertchen. Im Ida-Becker-Haus bewohnt er ein Gästezimmer und fühlt sich hier "wie ein Kind zuhause". Treu umsorgt er seine Berta, der das Gehen schwerfällt, und beide tauschen Erinnerungen an vergangene Zeiten aus. Frischen Wind von der Küste brachte Hanschen auch in die Küche des Evangelischen Altenzentrums. Labskaus, die norddeutsche Spezialität, gibt es jetzt auch an der Mosel, und den Bewohnern mundet das deftige Gericht ausgezeichnet. Walter Hanschen, der im Mai 90 Jahre alt wird, kommt am 7. Dezember wieder nach Traben-Trarbach zu seinem Bertchen, und es bleibt zu wünschen, dass er diese Reisen zu seiner Jugendliebe noch viele Jahre unternehmen kann.

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