Ohne Groll und Schuldzuweisungen

Als Jugendlicher hat der Jude Olejan Ingster den Terror und die Grausamkeiten des Nazi-Regimes erlebt. Die Erinnerung an den Holocaust und die damit verbundene Zwangsarbeit gibt er an junge Leute weiter.

Bernkastel-Kues. 80 Jahre alt ist der Mann, der da in der Aula des Nikolaus-von-Kues-Gymnasiums in Bernkastel-Kues vor dem Mikrofon steht. Die etwa 300 Schülerinnen und Schüler, die vor Olejan Ingster sitzen, sind im Schnitt 16 Jahre alt. Als Ingster so alt war wie die ihm zuhörenden Gymnasiasten, Haupt- und Realschüler, hatte er bereits mehr Grausamkeiten erlebt, als sich jeder der jungen Leute vorstellen kann.

1941, im Alter von 13 Jahren, war Ingster mit seinen Eltern aus seiner schlesischen Heimat ins Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert worden. Nur weil sich der junge Jude als 16-Jähriger ausgab und damit arbeitsfähig war, hatte er überhaupt eine Überlebenschance. Mehrfach ist er bis zu seiner Befreiung im Mai 1945 durch Zufall dem Tod von der Schippe gesprungen. Gräueltaten waren an der Tagesordnung, dem Tod sah Ingster jeden Tag ins Auge. "Das Leben war ein Schock für mich", erzählt er.

"Haben Sie ein Buch geschrieben", fragt einer der Schüler. Nein, antwortet Ingster, und er werde auch wahrscheinlich keines mehr schreiben. Er habe 40 Jahre über das Erlebte nicht sprechen können. Sprechen könne er mittlerweile, aber die Arbeit für ein Buch würde Narben aufreißen.

Er spricht ohne Groll, ohne Schuldzuweisung. Fast so wie ein Großvater zu seinen Enkeln. Dass, so die Antwort auf eine weitere Frage, Leute immer noch oder wieder den Holcaust leugnen, mache ihn aber "traurig und ärgerlich".

34 Kilogramm wog der damals 17-jährige Heranwachsende noch, als die Amerikaner ihm und den anderen noch lebenden Lagerinsassen wieder das Leben schenkten. Seine Eltern, von denen er kurz nach der Deportation getrennt wurde, hat er nie wieder gesehen. "Trotzdem hatte er Mut zum neuen Leben", erläutert Jaghoub Khoschlessan. Auf Einladung des Vorsitzenden des Bündnisses für Menschlichkeit und Zivilcourage ist Ingster an die Mosel gekommen. Er ist in Deutschland geblieben und seit 1966 Kantor der größten Synagoge in Berlin. "Haben Sie noch Alpträume?", wird er gefragt. "Manchmal", sagt er, "damit muss man leben".

Die 300 Jugendlichen in der Aula des Gymnasiums sind ganz still bei Ingsters Ausführungen. Sie dürften nun verstehen, wie wichtig es ist, die Erinnerung wach zu halten. "Denn wer die Vergangenheit nicht kennt, wird die Zukunft nicht in den Griff bekommen", mahnt Alfred Schmitt, der Direktor des Gymnasiums.

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