Rosskur für das Sorgenkind

GROSSLITTGEN. Geldverschwendung! Zerstörung der Natur! Das werfen Bürger den Verantwortlichen für die Renaturierung des Dörrbachs vor. Der TV hakte nach. Bei dem 400 000-Euro-Projekt gehe es nicht nur um naturnahe Gestaltung, sondern auch um Sicherheit. Sie verschlinge das meiste Geld, hieß es.

Ein Mann, der seinen Namen nicht nennen wollte, rief in der TV-Redaktion an und meinte: "Was da am Dörrbach passiert, ist Geldverschwendung. Warum gibt man für eine Renaturierung 400 000 Euro aus?" Alle Bäume und Sträucher kämen weg, und dann würden Granitsteine verwendet, die gehörten nicht in die Gegend. Viele Leute würden den Kopf schütteln. Eine Nachfrage bestätigte Letzteres, und so hakte der TV nach. Schnell waren Günter Weins von der VG-Verwaltung, Udo Reihsner vom planenden Büro sowie Michael Schäfer von der SGD Nord zur Stelle. Schäfer erklärte: "Jedes Mal, wenn ich am Bach vorbeigefahren bin, dachte ich mir: ,Oje, wieder tiefer.' Wir mussten aus Sicherheitsgründen im unteren Bereich des Dörrbachs handeln." Schäfer spricht von Sohlenerosion. Das bedeutet, dass sich das Bachbett auf weite Strecken hin aufgrund starker Ausspülung absenkt. Das Gewässer frisst sich nicht nur in die Tiefe - am Dörrbach bis zu zwei Meter tief -, sondern es reißt auch die Böschung mit. Wie bei den Halligen in der Nordsee werde das Land nach und nach abgetragen, erklärte Schäfer. Eine weitere Folge der Sohlenerosion: Der Grundwasserspiegel sinkt, und das Gewässer verliert den Kontakt zur Aue, die im schlimmsten Fall austrocknet. Ursache der Sohlenerosion ist beim Dörrbach - wie so häufig - die Einleitung von Regenwasser über die Kanalisation. Schäfer: "Normal fließen 50 Liter pro Sekunde durch den Bach, bei Starkregen sind es 3500 Liter. Das Wasser hat eine enorme Kraft." Günter Weins erinnert sich an ein Hochwasser, das am Dörrbach die seitlichen Entlastungsrohre freigelegt habe. Mit großem Aufwand sei der Schaden an dem "Sorgenkind in puncto Gewässerstrukturgüte" repariert worden.Steinmaterial macht Renaturierung so teuer

Um die Gewässersohle zu stabilisieren und das Bachbett wieder höher zu legen, werden nun große und kleinere Steine sowie Substrat in den Bach gefüllt. Schäfer: "Wir nehmen Granit. Der ist zwar nicht typisch für die Gegend, aber er passt farblich. Buntsandstein können wir nicht nehmen, er verwittert zu schnell." Das Steinmaterial ist es auch, das die Renaturierung so teuer macht. 2500 Tonnen davon - 250 Laster voll - werden gebraucht. Schäfer: "Zwei Drittel der 400 000 Euro für die Renaturierung fließen in den Unterlauf." Dort wurden auch einige Fichten und andere Gehölze entfernt. Reihsner: "Fichten sind dort generell standortfremd. Sie sind zudem Flachwurzler und können den Bach nicht stabilisieren. Sie kippen dort leicht um." An feuchten Standorten bekämen sie zudem Rotfäule. Am gesamten 3,5 Kilometer langen Bachlauf soll es "Initialpflanzungen" von auetypischen Gewässern wie Erlen und Weiden geben. Sie verkraften höhere Wasserstände. Während bei der Renaturierung am Unterlauf des Dörrbachs eher wasserwirtschaftliche Aspekte im Vordergrund stehen, geht es am Oberlauf vor allem um landespflegerische Punkte. Hier hat der Bagger dem Bach, der aufgrund der trockenen Witterung zurzeit kaum Wasser führt, ein mäandrierendes Bett gegraben. Die Kurven bewirken ein Absenken der Fließgeschwindigkeit und geben so vielen bachtypischen Lebewesen, die in einer Nahrungskette voneinander abhängen, erst die Möglichkeit, sich wieder anzusiedeln. Das fängt an mit Bakterien, die auch für die Selbstreinigung der Gewässer verantwortlich sind, und geht weiter über Köcherfliegen und Flusskrebse bis hin zu Fischen. "Intakte Gewässer sind artenreiche Biotope", erklärt Reihsner. Und weiter meint er: "Wir träumen davon, dass hier auch wieder Forellen und Äschen vorkommen." All die Lebewesen könnten dann auch noch einen pädagogischen Zweck erfüllen: Die Grundschule Großlittgen ist laut Günter Weins für eine Bachpatenschaft vorgesehen.

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