Schneiden im Dienst der Feinmotorik

WITTLICH. Ein Jahr "Gnadenfrist": Wer am Stichtag nicht fit ist für die Einschulung, für den gibt es den Schulkindergarten. Hier wird auch gelernt – aber es geht ein wenig spielerischer zu als im ersten Schuljahr.

Den Hotzenplotz hören sie heute, nicht von der CD, sondern vorgelesen von ihrer Lehrerin. Gestern haben sie gespielt, nicht teure interaktive Spiele, sondern Memory und Mensch-ärgere-dich-nicht. Morgen werden sie trommeln, nicht auf gekauften Instrumenten, sondern auf Eimern, auf die sie eigenhändig die tönende Haut gespannt haben. "Ich mag `wertloses Material wie Stoffreste, Bierdeckel, Knöpfe, Steine und Dosen", sagt Gabi Marschall, die den Schulkindergarten in der Georg-Meistermann (GMM)-Schule leitet. Und den kaum einer kennt, obwohl er seit 1975 existiert. Halb Schule, halb Kindergarten, so beschreibt die Erzieherin mit einer sonderpädagogischen Zusatzausbildung das, was die Mädchen und Jungen hier erleben. Ein Jahr lang besuchen die, die zum Stichtag nicht schulreif waren, diese Einrichtung, in der sie die Grundvoraussetzungen für den Schulbesuch im folgenden Jahr trainieren: Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit, eine sinnvolle Ordnung im Mäppchen und auf dem Blatt Papier, und was manchen besonders fehlt: ein gerüttelt Maß an Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein. In diesem Jahr lernen hier außergewöhnlich viele Kinder mit Migrationshintergrund. Da stammen Mama, Papa oder beide aus Persien, Russland, Kroatien oder Brasilien, sprechen Sinti oder kroatisch, und Daniel ist gerade erst aus Tschechien nach Wittlich gezogen und versteht noch fast gar nichts. Egal, "learning by doing" lautet die Devise, nicht nur bei ihm, sondern bei allen Kindern. Da wird im Dienste der Feinmotorik geschnitten, geklebt, gefaltet und geknetet. Im Stadtpark geht es tanzend, laufend oder hüpfend "auf die Reise". Das machen alle gern und spüren gar nicht, dass auch dies ein "pädagogischer Baustein" ist: Grobmotorik wird hier geschult. Jeden Morgen wird gelesen, werden Mengen und Zahlen erfasst und die wichtigen morgendlichen Rituale eingehalten. Zur Zeit steht in der ganzen Schule das Leben der Indianer im Mittelpunkt, also auch im Schulkindergarten: daher die Trommeln. "Den hab ich!", ruft gerade Laura, als sie im "Hotzenplotz", den die Pädagogin an die Tafel schreibt, ihr "H" entdeckt. Und so geht es reihum. In dieser Klasse geht es lebendig zu und dennoch disziplinierter als in mancher Grundschulklasse. Beim Frühstück herrschen klare Regeln, die jedes Kind kennt. Der Klassenraum ist bunt und äußerst interessant gestaltet. "Jede Woche sieht es anders aus", berichtet Salvatore. Klar: Was hier gebaut, geklebt, getöpfert und geschnitten wird, wird auch aufgehängt. Darauf können sie stolz sein.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort