Schulglocke und Schlafmützen

KRÖV. Hoch geflogen, sanft gelandet. Beim Kröver Mitternachtslauf bleibt niemand auf der Strecke, auch wenn er sich selbst überschätzt hat.

 Das gibt es nur beim Mitternachtslauf in Kröv: Erleuchtet vom Fackelschein lockte eine Feuertänzerin viele Zuschauer.Foto: Joachim Johanny

Das gibt es nur beim Mitternachtslauf in Kröv: Erleuchtet vom Fackelschein lockte eine Feuertänzerin viele Zuschauer.Foto: Joachim Johanny

Eine endlose Kette roter Lichter. Wie die Landebahn eines Flughafens ist die Stablostraße in Kröv beleuchtet. Hier kommt beim Kröver Mitternachtslauf so mancher Teilnehmer auf den Boden der Realität zurück. Für den einen oder anderen ist es eine Bruchlandung: Zu schnell angelaufen nach dem Start, bergab, in der Robert-Schumann-Straße, angefeuert von vielen Hundert Zuschauern, nach vorne getrieben von der Musik und den körpereigenen Glückshormonen. Wer kurz nach dem Start zu hoch geflogen, zu schnell gelaufen ist, den holen die Anstiege des Kröver Mitternachtslaufkurses herunter vom Höhenflug. Aber selbst eine Bauchlandung wird sanft abgefangen.Das Gebimmel gehört einfach dazu

In der Stablostraße stehen diejenigen, die den Läufern Mut machen. Von oben tönt Günther Beitzels Glocke und kündet vom erlösenden Ende des Berges. "Die Läufer freuen sich alle. Die wissen schon, dass ich hier läute", hat der Mann aus Kröv bemerkt. Und wenn das Gebimmel mal nicht ertönt, weil sich Beitzel - mit einem guten Tropfen - stärken muss, gucken die Läufer enttäuscht und fordern ihn auf, weiter zu läuten. Einen Gehörschaden habe er deshalb aber noch nicht, versichert Beitzel. So sehr, wie die Mitternachtsläufer das Gebimmel brauchen, in ihrer Kindheit haben viele Sportler die Glocke wohl weniger gern gehört. Es handelt sich nämlich um die alte Kröver Schulglocke. Einst trieb sie die Kinder zum Endspurt ins Klassenzimmer, jetzt kündet sie von der Erlösung des langen Anstiegs, der dreimal erklommen werden muss. Danach geht es wieder bergab ins grelle Licht der Robert-Schumann-Straße, wo die Musik am lautesten ist und die Läufer, die eben im Berg noch eine Gehpause einlegen mussten, im Zuschauerspalier noch einmal Gas geben - bis zur Stablostraße, wo sie dem Gebimmel der alten Kröver Glocke lauschen. So mühelos wie Paul Hagenaars schafft wohl niemand diesen berüchtigten Anstieg. Der Rollstuhlfahrer aus den Niederlanden hat an der Mosel mit Jörg Schnitzius einen Freund gefunden, der ihn jedes Mal die Stablostraße hinauf schiebt. "Ich glaube, der ist über jede Hilfe froh, die er bekommen kann. Der Anstieg hier ist 250 Meter lang. Der zieht sich", erklärt der junge Kröver sein Engagement, das ihm mehr als nur ein paar Schweißperlen auf die Stirn treibt. "Ich glaube, das war jetzt für mich anstrengender als für ihn", meint Schnitzius nach dem dritten Spurt bergan. Dem gemeinen Fußvolk kann niemand so helfen wie Jörg Schnitzius Paul Hagenaars. Aber auch die Läufer, die total einbrechen und sich am Ende des Läuferlindwurms wiederfinden, haben ihre treuen Begleiter. Der 16-jährige Moritz und der zwei Jahre ältere Jakob aus Kröv mimen im "Lauf der Junggebliebenen" der über 40-Jährigen die Schlussläufer. Ausgestattet mit Blinklichtern auf den Rücken sorgt das Duo dafür, das niemand von den so genannten "Masters" auf der Strecke bliebt. Bereits zum zehnten Mal übernimmt Edith Weber im Mitternachtslauf diese Aufgabe. Bei einer Symbiose von Breiten- und Leistungssport wie beim Kröver Mitternachtslauf beißt sich auf dem Drei-Runden-Kurs die Läuferschlange schnell selbst in den Schwanz. Überrundungen sind unvermeidlich. "Man muss erkennbar sein, gerade weil es so dunkel ist", erklärt Edith Weber, weshalb sie mit vielen roten Blinklichtern läuft. Die Frau aus Kinheim hat Nachthemd und Schlafmütze übergezogen. "Jeder meint: ‚Ach, gehst du jetzt schlafen'", erzählt sie. Zeit dafür wäre es. Aber müde sind nur die wenigsten Teilnehmer. Nach dem Rennen wird bis zum frühen Morgen gefeiert. SPORT SEITE 20

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