Schutzengel in langen Unterhosen

TRIER/ZEMMER-RODT. In gelb leuchtenden, rollenden Werkstätten sind die Engelscharen der ADAC-Straßenwacht auf deutschen Straßen unterwegs. Ihr Auftrag: liegen gebliebene Fahrzeuge wieder flott zu machen. TV-Redaktionsmitglied Esther Kuhn begleitete den Gelben Engel Arnold Hengel auf seiner Tour durch die Region.

 Ausgerüstet für die Pannenhilfe: Arnold Hengel hat 300 Werkzeuge, Ersatzteile, Benzin und Batterien an Bord.Foto: Esther Kuhn

Ausgerüstet für die Pannenhilfe: Arnold Hengel hat 300 Werkzeuge, Ersatzteile, Benzin und Batterien an Bord.Foto: Esther Kuhn

"Herr Lörscher, guuuten Morgen.Hier ist der Herr Hengel vom ADAC. Ich rufe an, um ihnen zusagen, dass ich gerade in Trier losfahre und jetzt zu ihnenunterwegs bin", posaunt der Engel 993, für die Uhrzeit schonziemlich munter, in das Mikrophon der Freisprechanlage. Seingelber Einsatzwagen der ADAC-Straßenwacht ist telekommunikativauf dem neusten Stand. Für das Telefonat mit dem Kunden mussArnold Hengel kein Head-Set tragen. Das Mikrophon ist direkt überdem Fahrersitz im Autodach eingebaut. "Was ist das Problem?",fragt der Mann, der am Tag durchschnittlich neun bis zehn Pannenbehebt und bis zu 300 Kilometer auf den Straßen der Regionzurücklegt. "Mein Auto springt nicht mehr an. Ich habe schonprobiert, zu überbrücken, aber es geht nichts mehr", dröhnt esdurch den Lautsprecher zurück. Per Satelliten werden 1700 Engel koordiniert

"Sie wohnen im Bornweg 3?", fragt der 52-jährige Föhrener, während er auf das Display schaut, das alle Details des Auftrages anzeigt: Name des Mitgliedes, Adresse, Uhrzeit des eingegangen Anrufes, Kennzeichen, gemeldeter Schaden. Diese Daten werden nur wenige Minuten nach Erhalt eines Notrufes per Funk aus Groß-Gerau - dort ist eine der fünf Pannenvermittlungsstellen stationiert - übertragen.

Während Hengel auf die Autobahn A1 in Richtung Koblenz auffährt, koordinieren in Groß- Gerau fünf so genannte "Dispatcher" bereits die nächsten Einsätze in den Gebieten Mittelrhein, Baden, Südhessen und Nord-Ost. Über das Satellitensystem GPS lassen sie sich graphisch anzeigen, wo sich die Panne ereignet hat und orten, welcher der 1700 Gelben Engel gerade in der Nähe ist. "So kann gewährleistet werden, dass jedes Mitglied schnellstmöglich Hilfe bekommt", erklärt Arnold Hengel, während auf dem Display bereits eine weitere Panne in Rivenich angezeigt wird.

Unter "Schaden" steht die Abkürzung SNA. Der Experte entschlüsselt den Code: "SNA = Springt nicht an". Das sei ein Problem, das bei solch eisigen Temperaturen (minus sechs Grad) gehäuft vorkäme, erklärt er. Der Auftrag eines Engels bestehe darin, den Wagen an Ort und Stelle wieder zum Laufen zu bringen. "Wir sind da, um die Panne zu beheben, aber nicht, um ein Auto zu reparieren, also zum Beispiel eine neue Kupplung einzubauen", stellt er klar. "Erst wenn gar nichts mehr geht, dann packe ich das Abschleppseil aus und ziehe das Auto zur Wunsch-Werkstatt des Mitglieds oder bestelle einen Abschleppwagen."

In Zemmer angekommen, geht es ohne Navigationssystem und ohne Straßenkarte auf die Suche nach den Bornweg Nr. 3. Hengel, der seit 24 Jahren im Einsatz ist, kennt die Gegend. Einen Ort wie Zemmer zielsicher anzusteuern, gehört zu seinem Beruf. Alle Straßen kennt er jedoch nicht.

"Entschuldigung. Mein Name ist Hengel vom ADAC, könnten Sie mir sagen, wo ich den Bornweg finde?", ruft er über die heruntergelassene Fensterscheibe hinweg einem Passanten zu. Der unrasierte Mann, der nur durch die Plastiktüten in beiden Händen das Gleichgewicht halten kann, lallt Unverständliches zurück. "Danke."

Als nächsten Wegweiser spricht er eine Frau an, die gerade mit ihrem Hund spazieren geht. "Bornweg. Den gibt es hier nicht. Der ist in Rodt", gibt sie zu verstehen.

Sein vorher so freundliches Gesicht wird für einen Moment grimmig. "Das ist ärgerlich. Auf dem Display steht Zemmer, und die Panne ist in Rodt. Entweder der Mann hat nicht genau angegeben, wo er ist, oder in Groß-Gerau ist was schief gelaufen", sagt Hengel und wendet. Das komme vor. Regen wäre schlimmer, wenn "den ganzen Tag die Brühe an einem herunter läuft".

Das Telefon klingelt. "Hengel 993." "Hallo, Patrick hier", sagt der Kollege von der A-Schicht, der um 7.30 Uhr, eine Stunde später als Hengel, den Dienst angetreten hat. Auf den kleinen Smalltalk folgt eine unverbindliche Verabredung. "Vielleicht sehen wir uns später", irgendwo auf der Strecke, an einer Raststätte, an der Tankstelle in Trier oder bei McDonalds.

Wenige Kilometer weiter und noch ein paar Passanteninterviews später ist er gefunden: der Bornweg 3. Arnold Hengel drückt auf den Knopf "Eingetroffen", damit der Dispatcher Bescheid weiß, dass er angekommen ist.

Alptraum: Die Autotür aus der Hand gefahren

Vor der geöffneten Motorhaube eines Citrôen ZX steht ein schmächtiger Mann und zittert trotz dickem Anorak und Schirmmütze. Heinz Lörscher, von Beruf Fliesenleger, hat sich schon damit abgefunden, dass er heute zu spät zur Arbeit kommen wird.

"Können sie mal \\'nen Startversuch machen", bittet der gelernte KFZ-Mechaniker Hengel, nachdem er mit seinem ständigen Begleiter, einem gelben Spannungsmessgerät, die Voltzahl der Batterie überprüft hat. Der Motor stottert, heult ein wenig und verstummt.

"Ist genug Benzin drin?" "Ja, Ja", antwortet Mitglied Lörscher, der heute zum fünften Mal in den vergangenen 15 Jahren den Dienst eines Gelben Engels in Anspruch nimmt. Hengel öffnet die Schubladen seiner rollenden Werkstatt. Im umgebauten Kofferraum befinden sich 280 Kilogramm Ausrüstung: 300 Werkzeuge wie Schraubenzieher, Hammer und ein vielfältiges Ersatzteillager.

Aber auch Kanister mit zehn Litern Benzin, zehn Litern Diesel und vier Batterien. Nachschub besorgt er sich alle paar Wochen beim Werkstattpflegetag WST auf dem Stützpunkt in Koblenz. Material zur Absicherung von Unfall- und Pannenstellen hat er auch immer dabei. Das ist wichtig, denn sein schrecklichstes Dienst-Erlebnis hatte er auf dem Seitenstreifen der Autobahn, als ihm ein vorbeifahrendes Auto die geöffnete Fahrertür aus der Hand fuhr.

"Der Zündfunke ist nicht da. Der Anlasser ist kaputt", lautet die Diagnose nach zwanzig Minuten schrauben, klopfen, sprühen. "Das hab\\' ich mir gedacht", sagt Lörscher. Da hilft nur eins: Der Anlasser braucht Starthilfe. Hengel bindet den ZX mit dem Abschleppseil an das ADAC-Auto, und zieht ihn ein Stück, während Lörscher gaaaannz langsam die Kupplung kommen lässt. Doch nach 50 Metern wird klar: Der Wagen ist tot.

Mit gestrickten Strümpfen gegen den Frost

Trotzdem will der Pannenhelfer noch nicht aufgeben. Hengel greift zu seiner Sammlung von blauen Ordnern, die Detailsinformationen aller Autotypen beinhalten, setzt seine Lesebrille auf und studiert den Schaltplan des ZX. "Die Technik ist heutzutage so vielfältig, dass man gar nicht alles wissen kann, geschweige denn alle Ersatzteile dabei haben kann." Er will nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht. Die Gelben Engel werden regelmäßig zu wichtigen Neuerungen geschult, betont er. Sein zweiter Check ergibt: Die Kraftstoffpumpe ist möglicherweise eingefroren. "Jetzt haben wir so lange geschafft und müssen doch den Abschleppwagen rufen", lautet die resignierte Erkenntnis nach einer Stunde. Doch die Statistik ist auf seiner Seite. In 83,1 Prozent der Fälle sind er und seine Kollegen erfolgreich. "Die Sonne scheint", singt Hengel und notiert Lörschers ADAC-Mitgliedsnummer im Pannenberichtformular, das später in die Hauptzentrale nach München geschickt werden muss, um dort statistisch erfasst zu werden. Zurück im Auto: Auch Hengel friert jetzt ein wenig, trotz selbst gestrickter Strümpfe von seiner alten Tante an den Füßen und langer Unterhosen.

Er dreht die Heizung hoch. Der Rivenich-Auftrag ist vom Display verschwunden. Anscheinend hat der Kollege inzwischen übernommen. "Hallo Arnold, Brigitte hier", meldet sich eine Mitarbeiterin des Call-Centers. "Was ist denn kaputt?", will sie wissen. "Die Bezinpumpe. Der Wagen muss nach Trier gebracht werden." "Okay, ich schick den Schleppi raus." Alles klar. Und während der Fliesenleger Lörscher weiter in der Kälte auf die Abschleppwagen des ADAC-Vertragspartners wartet, erhält der Engel 993 per Satellit seinen nächsten "himmlischen" Auftrag.

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