"Sie sprechen aber gut Deutsch"

Wittlich/Bernkastel-Kues · Anfeindungen und Ängste. Aber auch bereichernde Begegnungen und Lernen von anderen Kulturen. Das erlebt eine deutsche Muslimin jeden Tag in unserer Region. Im TV-Interview spricht sie darüber, wie sie sich dabei fühlt und wie sie damit umgeht.

"Sie sprechen aber gut Deutsch"
Foto: (m_wil )

Ayse Yilmazlar* lebt seit rund 40 Jahren in Deutschland. Sie kam mit der großen türkischen Einwanderungswelle - durch das 1961 unterschriebene Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei - mit ihrer Familie in die Bundesrepublik. Ihr Vater war Gastarbeiter. Sie spricht, wie ihr Mann und ihre Söhne, perfekt deutsch und lebt gerne in Deutschland. Mit TV-Redaktionsmitglied Andrea Weber hat sie über Vorurteile, Integration und Ängste gesprochen, die ihren Alltag verändert haben.

Wie fühlen Sie sich in Deutschland?
Yilmazlar: Sehr, sehr wohl. Ich fühle mich als deutsche Muslimin. Ich habe türkische Wurzeln, aber ich bin hier aufgewachsen und sozialisiert. Meine Familie hat sehr viele deutsche Freunde und meine Kinder waren schon früh in Vereinen. Meinem Mann und mir war es wichtig, dass sich unsere Jungs sehr früh in die Gesellschaft integrieren.

Sie tragen Kopftuch. Was bedeutet das für Sie?
Yilmazlar: Von dem Thema Kopftuch bin ich ein bisschen genervt. Ich habe erst mit 20 Jahren nach einer Türkeireise angefangen, Kopftuch zu tragen. Viele denken bei einer Frau mit Kopftuch - die ist unterdrückt. Es gibt aber auch viele Frauen mit Kopftuch, die integriert und gut ausgebildet sind. Die im Beruf stehen und zu Hause was zu sagen haben. Es nervt mich, dass der Islam auf die Frau mit Kopftuch reduziert wird. Jeder weiß, dass im Koran steht, die muslimische Frau soll sich bedecken. Und wenn ich mich als Frau in freien Zügen dafür entscheide, möchte ich nicht bevormundet werden von der Gesellschaft, oder mir von anderen Frauen sagen lassen, dass ich unterdrückt werde.

Werden Sie wegen des Kopftuchs angesprochen oder sogar angefeindet?
Yilmazlar: Das ist in den letzten fünf Jahren schlimmer geworden. Früher war das recht friedvoll. Heute passiert es häufiger, dass man angepöbelt oder beschimpft wird. Leider. Ich denke, dass durch die Flüchtlingsthematik Ängste entstanden sind.

Welche Ängste?
Yilmazlar: Vielleicht haben sie Angst, dass wir die christliche Religion überrennen. Ich weiß es nicht. Die rechte Szene wird stärker. Das darf man nicht mehr auf die leichte Schulter nehmen. Eine Bekannte von mir wurde neulich angegriffen. Sie trägt auch Kopftuch. Sie war mit ihrer Tochter unterwegs und wartete im Wagen auf sie. Ein Mann hat ihr im Vorbeigehen gegen das Auto getreten. Meine Bekannte ist ausgestiegen und hat gefragt, was das soll. Er hat sie beschimpft. Als sie die Polizei rufen wollte, hat er sie so fest geschlagen, dass sie hingefallen ist. Eine Frau, die danebenstand, sagte zu ihr: ‚Du Schlampe, das hast du verdient.' Meine Bekannte war sehr, sehr erschrocken, dass keiner ihr geholfen hat. Das Verfahren wurde eingestellt, weil der Mann nicht gefunden wurde. Der ist einfach weiter gegangen.

Wie gehen Sie damit um, wenn Sie angepöbelt werden?
Yilmazlar: Wenn jemand sagt, ‚Kehr in dein Land zurück', antworte ich einfach nicht mehr. Früher hätte ich gefragt, warum machen Sie das? Aber das mache ich nach der Erfahrung meiner Bekannten nicht mehr, ich gehe einfach weiter.

Kann man sagen, dass Ihre Angst größer geworden ist?
Yilmazlar: Ja. Ich sage auch meinen Jungs, sie sollen bitte aufpassen, wegen der rechten Szene. Meinem Sohn sieht man an, dass er südländisch ist. Ich schaue, wenn er unterwegs ist, dass zwei, drei Freunde dabei sind, dass er nie alleine ist. Seit zwei Jahren gehe ich auch nicht mehr alleine laufen. Es kommt immer jemand mit.
Wir werden jetzt durch die Flüchtlingskrise alle in einen Topf geworfen. Und jetzt denken alle, ah, guck mal die trägt Kopftuch, die zahlt bestimmt keine Steuern, keine Sozialversicherung, die nehmen uns die Arbeit weg. Vorletztes Jahr war ich mit meiner Schwester auf dem Flohmarkt. Wir haben nach dem Preis gefragt, wie man das so macht, und der Verkäufer sagt, ‚wir sind hier nicht im Sozialamt'. Meine Schwester kann so was nicht ertragen und hat gesagt: ‚Wissen Sie was, ich arbeite acht bis zehn Stunden am Tag, ich zahle Steuern wie Sie. Nur weil ich ein Kopftuch trage, heißt das nicht, dass ich vom Sozialamt lebe.' Er hat sich dann entschuldigt: "Oh, das habe ich nicht so gemeint." Viele rechnen glaube ich nicht damit, dass auch Frauen gut deutsch sprechen und etwas erwidern können. Das ist traurig.

Denken Sie, dass sich das noch mal bessert?
Yilmazlar: Wenn die Gesellschaft merkt, dass das ganz normale Menschen sind wie Sie und ich. Dass die einfach vor dem Krieg geflüchtet sind, arbeiten und niemandem auf der Tasche liegen wollen. Dass das Menschen sind, die sich einbringen wollen - dann denke ich, es beruhigt sich wieder. Das hoffe ich mal. Ich weiß es aber nicht. Das hängt auch davon ab, wie die Politik damit umgeht.

Was würden Sie da erwarten oder hoffen?
Yilmazlar: Dass Institutionen stärker unterstützt werden, dass mehr über das Thema gesprochen wird. Dass in den Schulen mehr Lehrer eingestellt werden, die das aufgreifen können. Die mit den Kindern das Miteinander in den Vordergrund stellen. Deutschland hat ja sowieso ein Problem mit dem Miteinander gehabt - immer schon. Finde ich.

Inwiefern?
Yilmazlar: Man hat gesagt, die Migranten sind einfach da, die sind in den Schulklassen. Punkt. Das war's. Und es wurde nicht geschaut, wie kann man Integration mit allen zusammen leben? Es gibt Lehrer, die versuchen, das Thema in ihrer begrenzten Zeit einzubinden. Aber es gibt auch welche, die sagen, die sind halt da, fertig. Es müssten mehr Lehrer mit Migrationshintergrund an die Schulen. Die Polizei hat früh damit angefangen, weil sie gemerkt hat, das bringt uns weiter. Das müsste in pädagogischen Berufen genauso sein. Die Lehrer bilden die Kinder aus und sind ihre Vorbilder.

Gibt es weitere Vorurteile, mit denen Sie im Alltag konfrontiert werden?
Yilmazlar: Was immer wieder kommt, ist der Satz: Sie können aber sehr gut Deutsch. Dann frage ich mich: Was erwarten die von mir? Dass ich gebrochen deutsch spreche? Manchmal fangen die Leute sogar an, gebrochen deutsch mit mir zu sprechen. Das kränkt mich. Weil ich denke, ich gehöre zur Gesellschaft. Ich lebe hier in Deutschland und will in Deutschland leben. Wir haben alle die deutsche Staatsbürgerschaft. Aber dann kriegst du immer diesen Stopp-Stempel ‚Nee, du gehörst nicht dazu.' Nur durch dieses Stück Tuch! Das Stück Tuch, das das verhindert.

Wie entstehen Probleme bei der Integration?
Yilmazlar: 1970/80 ist vieles von der Politik aus schiefgelaufen. Man hat gedacht, die sind hier, die arbeiten schön und dann kehren sie zurück. Dass die Migranten die Sprache lernen, war nicht gewollt. Es ist schade, dass man im Nachhinein sagt, die wollten sich nicht integrieren. Das stimmt nicht. Das war von der Politik und der deutschen Gesellschaft damals nicht gewünscht. Man hat einfach jahrelang weggeschaut. Und dann gab's Probleme.

Sind Sie der Meinung, wenn zwei Kulturen offen aufeinander zugehen, gibt es keine Probleme?
Yilmazlar: Genau. Das ist eher eine Bereicherung. Ich lerne soviel von anderen Kulturen. Aber man muss es auch annehmen. Wenn man schon negativ rangeht und Angst hat, bringt einen das nicht weiter. Man muss die Menschen da abholen, wo sie stehen und auf sie zugehen. Man muss beide Seiten einbeziehen. Es gibt tolle Angebote, bei denen Menschen verschiedener Kulturen aufeinander zugehen können. Damit Deutsche und Migranten die Hemmschwelle verlieren. Eine arabische Frau kocht zum Beispiel bei einem interkulturellen Kochabend Couscous, und eine Deutsche schaut ihr zu. So merkt sie, dass sie mit der Migrantin kommunizieren kann, selbst wenn sie nicht die gleiche Sprache sprechen. So entstehen Kontakte ohne Ängste und Hemmschwellen.

Was kann die Gesellschaft dafür tun, dass die Menschen gut integriert werden?
Yilmazlar: Sie müssen das zulassen. Und man muss den Menschen Zeit lassen. Es werden viele Projekte und Sprachkurse angeboten, aber man muss sich mal in deren Lage versetzen, man ist irgendwo ganz fremd, kennt die Sprache, die Gesellschaft und die Strukturen nicht. Das sind Menschen, keine Maschinen. Man muss auf sie zugehen und sie natürlich auch fordern. Es ist ein Muss, dass die Menschen die Sprache lernen. Aber man muss die Menschen sich auch integrieren lassen. Da wird hier in der Region aber schon viel gemacht.

Sind Sie der Meinung, dass die Gesellschaft das hinbekommt, neu Ankommende zu integrieren?
Yilmazlar: Ich glaube schon. Es wird immer Fälle wie in Köln geben. Es werden auch immer welche dabei sein, die in ihrem Land schon kriminell waren. Denen muss man ganz klar zeigen, so nicht. Aber die meisten werden sich integrieren. Es braucht Zeit, Geduld und Institutionen, die das begleiten. Und es braucht ehrenamtliche Menschen, die die Flüchtlinge an die Hand nehmen. Da ist die Region sehr gut aufgestellt. Das Wichtige ist, dass man Integration im Alltag lebt. So hat zum Beispiel eine Kollegin mal was zu essen mitgebracht, und als ich gerade in ein Stück Käse beißen wollte, schreit sie: Nein, nicht, da ist Alkohol drin. Da habe ich gelacht und gesagt, ihr gönnt mir noch nicht mal, im Käse zu probieren, wie Alkohol schmeckt. Oder als die Freunde meines Sohnes zur Kommunion gingen, war es für uns selbstverständlich, dass wir zum Kommunionskaffee gegangen sind. Das sind alles so Kleinigkeiten, durch die man friedlich miteinander leben kann. Wie es eigentlich auf der Welt sein müsste. Jeder kann seins im Kleinen dazu beitragen.

* Ayse Yilmazlar möchte nicht, dass ihr richtiger Name, der dem TV bekannt ist, und ihr Gesicht in der Zeitung zu sehen sind, weil sie Angst vor Anfeindungen, auch gegenüber ihrer Familie, hat. aweb

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