Soziale Kompetenz und gute Noten

WITTLICH. Hochbegabt, begabt, normal - wer und was entscheidet darüber? Und wie kommen betroffene Mädchen und Jungs damit klar, wenn die Gesellschaft sie einmal als überdurchschnittlich begabt "entlarvt" hat?

Yasmin und Yaschar Zand sind in ihrer Schule als besonders gute Schüler aufgefallen. Sie ist 14, er 16 Jahre jung. Inzwischen werden ihre Begabungen, angeregt durch aufmerksame Lehrer, auch außerhalb des Klassenzimmers gefördert. Beide Jugendliche hatten erschwerte Bedingungen: Fünf Jahre lebten sie im Iran, bevor sie 2001 zurückkamen in die Heimat ihrer Mutter. Im Iran mussten sie die persische Schrift lernen und sich an fremde gesellschaftliche Normen anpassen. Doch auch dort das gleiche Bild: Yasmin war fast durchgehend Schulbeste. Yaschar kam bei einem bundesweiten Test unter die besten 50 und ging drei Jahre lang in eine Begabtenschule. In Wittlich besuchen die Geschwister nun mit Gleichaltrigen den normalen Unterricht im Cusanus-Gymnasium - und das soll auch so bleiben. "Wir fühlen uns ausgesprochen wohl im Klassenverband", sagen beide übereinstimmend. Kein Neid bei den Mitschülern

Weder unter den Mitschülern noch unter den Lehrern erleben sie Neid oder Missgunst, im Gegenteil: "Wenn jemand etwas nicht versteht, werden wir oft um Rat gebeten und helfen, wenn wir das können." Nebenbei betätigen sie sich auch am Streitschlichter-Projekt ihrer Schule. Das ist ganz im Sinne ihrer inzwischen allein erziehenden Mutter, die bei der Entwicklung der insgesamt vier Kinder stets großen Wert auf Hilfsbereitschaft gelegt hat. Mit Erfolg: Das Vorurteil gegenüber besonders Begabten, denen die Volksseele so gern soziale Inkompetenz nachsagt, wird durch Yasmin und Yaschar widerlegt. Das bestätigt auch der Lateinlehrer, der dem Jungen in seinem Fach, das im Iran nicht unterrichtet wurde, unter die Arme griff. Obwohl Yasmin und Yaschar inzwischen Stammgäste sind an Zusatzschulungen, Wochenendseminaren, Chemie-Camps oder Mathe-Olympiaden - manches Mal als mit Abstand jüngste Teilnehmer -, haben sie weder schwimmen noch Tennis spielen oder fernsehen und faulenzen verlernt. Sie identifizieren sich nicht mit dem Stempel "hochbegabt" - das simple "begabt" gefällt ihnen besser. "Unsere Mutter hat unsere Fragen stets dort beantwortet, wo wir sie stellten", erzählt Yaschar. Gabriele Zand nutzte jede entspannte Situation: "Wir sprechen viel mit einander, ob beim Spazieren gehen, Autofahren, Basteln oder im Schwimmbad." Die Kinder nicht zu blockieren, sondern in ihrem Wissensdrang zu unterstützen, empfindet sie als ganz alltägliche Aufgabe einer jeden Mutter. Wobei sie ihrem Nachwuchs nie fertige Antworten servierte, sondern ihnen Wege aufzeigte, auf denen sie weiter forschen konnten: Die "Sendung mit der Maus", Bücher, später wissenschaftliche Sendungen und das Internet, wo ihnen die Flatrate ein Recherchieren ohne Zeitdruck ermöglicht. Bereit, Gehirnzellen zu investieren,

Von "hochbegabt" will auch sie nichts wissen. Begabt seien die Kinder schon, aber sie seien auch bereit, Zeit und vor allem Gehirnzellen zu investieren, und das über den Stoff der nächsten Hausaufgabenüberprüfung hinaus. "Sie möchten einen Sachverhalt einschließlich der Hintergründe verstehen", sagt Gabriele Zand. Wenn es überhaupt etwas gäbe, was ihre Kinder von anderen unterscheide, dann sei es diese Tatsache, sonst eigentlich nichts. Bei der Zeugnisvergabe vor zwei Wochen fanden übrigens beide Kinder schnell auf den Boden der Tatsachen zurück: Denn die kleine Schwester brachte bessere Noten nach Hause als sie selbst.

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