Süßes und Saures

Ich mag Halloween nicht, ich mag keine schwarzen Umhänge und seltsame weiße Masken, die aussehen, als ob ein weißer Gummischädel in einen Schraubstock geraten wäre. Dieses amerikanische Fest macht nur Ärger.

Dabei fing der Montagabend so gut an: Ich wollte schon am Abend für mein Nachmittagsnickerchen an Allerheiligen üben, da klingelte es. Und draußen standen drei etwa 1,20 Meter hohe Gestalten, die unter ihren weißen Plastik-Quetschschädeln hervor riefen: "Gib uns Süßes, sonst gibt's Saures." Ich sagte: "Habt ihr kein Zuhause!" Und zu die Tür. Aber da klingelte es noch mal, es waren wieder die drei Pseudo-Gespenster, diesmal krähten sie noch lauter: "Gib' uns Süßes, sonst gibt's Saures." Ich war früher, als wir für den Fußballverein Tombola-Geschenke für die Weihnachtsfeier sammeln mussten, immer froh, wenn ich schnell wieder weg war, auch wenn ich nichts gekriegt hatte. Aber das hat sich wohl verändert. Denn auch ein unfreundliches: "Hier gibt's nix!" brachte keine Ruhe. Es klingelte zum dritten Mal. Diesmal schon fast heiser, schrien die drei: "Gib' uns Süßes, sonst gibt's Saures." Das mit dem Sauren hatte ich verstanden. Denn ich war sauer. Das Wichtigste war mir jedoch, dass ich endlich meine Ruhe haben wollte - zumal Wilma bei ihrer Mutter war und mir die Gnade erwiesen hatte, mich zu Hause zu lassen. Da kam mir die rettende Idee: Wir hatten doch mal diese Schachtel Pralinen bei der Tombola gewonnen: "Na, dann will ich doch mal sehen, ihr Süßen!" Geduld hatten die Jungs jedenfalls, denn es dauerte zehn Minuten, bis ich die Schachtel in der Abstellkammer gefunden hatte. Sie sah fast aus wie neu, und ich überreichte sie den Schrumpfkopf-Zwergen vor der Tür. Zufrieden ging ich zurück zum Sofa und genoss die Ruhe. Aber nur eine Stunde. Denn da klingelte es wieder: Es war mein Nachbar, und der sagte nichts Süßes, sondern war richtig sauer: Ich sei ein Kindervergifter. Sein Sohn müsse sich seit einer halben Stunde permanent übergeben, und schuld sei ich. Als ich die aufgerissene Schachtel in seiner Hand sah, schwante mir Böses. Denn worauf ich vorher nicht geachtet hatte, sah ich jetzt überdeutlich. Auf der Schachtel stand: Edle Tropfen in Nuss, und diese Schnapspralinen vertrage nicht einmal ich. Zugleich erinnerte ich mich, dass die Tombola, aus der die Schachtel stammte, sicher schon vier Jahre zurücklag. Und auch wenn Schnaps nicht schlecht wird, so werden Pralinen mit den Jahren nicht besser. Ich stammelte nur noch: "Ich wollte doch nur..." Aber mein Nachbar ließ mich nicht ausreden, er warf mir die Pralinenschachtel an den Kopf: "Das wird noch ein Nachspiel haben!" Hat es auch: Seit Montag grüßt mich keiner aus der Nachbarschaft mehr, und auch meine Wilma hält mich für einen Kinderhasser. Tja, und so gewinnt die amerikanische Kultur mal wieder: Ich mag Halloween zwar immer noch nicht, aber im nächsten Jahr werde ich vor dem Tag der weißen Masken sicher köstliche Schokolade kaufen und den schwarzen Zwergen beim ersten Klingeln freundlich überreichen - falls sie sich noch einmal trauen. Dann klappt's vielleicht auch wieder mit den Nachbarn. Bis dann, Euer

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