"Terror hat keine Religion"

WITTLICH. Mehr als 50 Tote und fast 800 Verletzte forderten die beiden Bombenanschläge in Istanbul. Der Wittlicher Verein "Türkisch-Islamische Union" steht unter Schock.

Es sind die letzten Tage des Ramadan, des heiligsten Monats des Islams. Für Moslems eine Zeit des Friedens, der Familie, des Feierns. Doch statt Freude ist Trauer in den Gesichtern der Türken zu lesen, die in den Räumen der Türkisch-Islamischen Union in der Schloßstraße zusammen sitzen. "Die Anschläge in Istanbul treffen uns tief in unseren Herzen. Wir sind bestürzt und schockiert", sagt Sebahattin Topal, der Vorsitzende des Vereins.Im Freitagsgebet am Mittag haben die Moslems für Frieden gebetet. Jetzt liest der Imam, der Vorbeter, den Koran vor. Per Lautsprecher dringt seine Stimme aus der Moschee im ersten Stock in jeden Winkel im Erdgeschoss. "Der Koran lehrt den Frieden, nicht die Gewalt. Die Türkei setzt sich seit Jahren für den Frieden ein; seit einiger Zeit war endlich Ruhe eingekehrt in der Stadt, die die westliche Welt mit dem nahen Osten verbindet. Mit den Anschlägen haben wir überhaupt nicht gerechnet", gibt Topal seinem Schock Ausdruck.Wer für die Anschläge verantwortlich sein könnte, kann er nicht sagen. "Die Türkei ist eng mit den USA befreundet und will in die EU, und das ist auch gut so. Auch wenn das viele arabische Staaten nicht gerne sehen", sagt der junge Mann.Yildiz Yilmaz, in der Gemeinde zusammen mit dem Imam zuständig für Seminare und die Zusammenarbeit mit Schulen, fügt an: "Es muss eine Organisation dahinter stehen, keine Einzelperson. Unvorstellbar, dass sich eine islamistische Gruppierung dazu bekannt haben soll, besonders, weil die Anschläge im Ramadan, der heiligsten Zeit des Islams, passiert sind." Dass die Anschläge primär gegen jüdische und britische Einrichtungen gerichtet waren, aber unter den Toten beinahe nur Türken sind, hat für beide kein großes Gewicht. "In Istanbul leben viele Religionen friedlich nebeneinander - da ist es unwichtig, welchen Glauben jemand hatte, der bei solchen Anschlägen stirbt", sagt Yilmaz. Dagegen, dass die Bombenattentate religiöse Motive haben könnten, wehrt sich Topal energisch: "Da steckt Hass dahinter, keine Religion. Denn Terror hat keine Religion." Der Grund für den Hass liege im Israel-Palästina-Konflikt: "90 Prozent des Terrorismus‘ hat da seine Ursache. Wenn das Palästina-Problem gelöst wäre, würde Frieden auf der Erde einkehren", sagt er.Die wenigsten der 110 Mitglieder der islamischen Gemeinde in Wittlich haben Verwandte in Istanbul. Direkt betroffen ist niemand. Einige Wittlicher haben der Gemeinde ihr Mitgefühl ausgesprochen. Von Seiten der Stadt sind dagegen noch keine Beileidsbekundungen gekommen.Inzwischen hat Ömer Elmaci, der Imam, seine Koran-Lesung beendet. "Die Anschläge haben uns in ein tiefes Trauma versetzt, und wir verurteilen sie auf das Schärfste", sagt der religiöse Führer der Gemeinde. Über Gründe und Ursachen will er nicht spekulieren. "Uns trifft vor allem die menschliche Seite, der Tod Unschuldiger."In der bevorstehenden Nacht jährt sich die Geburtsstunde des Korans. Gebete sollen in dieser Kadir-Nacht ihre eintausendfache Wirkung haben. Auf die Frage, worum die Gemeinde in dieser heiligsten aller Nächte beten wird, huscht ein Lächeln der Selbstverständlichkeit über das Gesicht des Imam. "Wir beten um Frieden für die ganze Welt, denn für alle Religionen ist der Frieden das Wichtigste, nicht nur für den Islam."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort