Todesängste, Euphorie und ein cooler Vater

BERNKASTEL-KUES. Bereits 400 Mal ist Christian Neuleib mit einem Fallschirm und einem zweiten Menschen im "Gepäck" aus dem Flieger gesprungen. Bei diesen Tandemsprüngen hat er jede Menge erlebt: den Hochzeitsantrag in 3000 Meter Höhe und Riesenangst um den eigenen Vater.

Behaglich im Stuhl zurückgelehnt erzählt Christian Neuleib munter drauf los, was er als Tandemmaster mit seinen Passagieren, die er beim Fallschirmspringen quasi vor den Bauch geschnallt bekommt, schon alles erlebt hat. Da war zum Beispiel der Heiratsantrag des Fluglotsen kurz vor dem Sprung im Flieger. Neuleib: "Er ist mit mir gesprungen, seine Freundin mit einem Kollegen. Wir wussten Bescheid. In 3000 Meter Höhe fragte der Fluglotse bei offener Tür, ob sie ihn heiraten will. Sie hat erstmal nix gesagt und ich hab' nur gedacht, hoffentlich kommt die richtige Antwort!"Purzelbäume nach der Landung

Sie kam, wenn auch - vermutlich aufgrund der etwas überfordernden Umstände - zögerlich. Es gab Rosen für sie und der Pilot verkündete die Nachricht per Funk. Als Antwort folgten Glückwünsche von Spangdahlem und Frankfurt und nach dem gelungenen Sprung ging die Crew zusammen essen. Beim Erzählen lacht Christian Neuleib immer wieder. Bereits 400 Tandemsprünge hat der 39-Jährige, der in Bernkastel-Kues lebt, absolviert. 400 Mal lag es in seinen Händen, einen anderen Menschen aus Höhen, in denen die Welt auf Mini-Größe schrumpft, per Fallschirm sicher zur Erde zu bringen. Wieso dieses Hobby? "Das Schöne ist, zu sehen, wie die Leute vor dem Sprung total aufgeregt sind und hinterher total euphorisch." Ganz verschiedene Typen hat der Mann mit dem braunen Lockenschopf ausgemacht. Da gibt es die, die gleich nach der Landung Purzelbäume schlagen. Andere sind zunächst ganz still und sprudeln Stunden, manchmal erst Wochen später über vor Begeisterung. Neuleib: "Ich habe noch nie erlebt, dass jemand gesagt hat, das war schrecklich. Alle gehen mit einem Leuchten in den Augen vom Flugplatz weg." Doch zuvor erleben alle Todesängste. Spätestens, wenn die Tür in 3000 Meter Höhe aufgeht. Neuleib: "Erst ein einziges Mal hat jemand zu mir gesagt: ,Ich will nicht mehr.'" Da gab es keine Diskussion, der Flieger kehrte um. Ansonsten hat Neuleib und mit ihm alle Tandemmaster, die er kennt, die Erfahrung gemacht, dass die meisten Frauen viel lockerer springen als Männer. Letztere säßen oft stumm und stocksteif im Flieger, Frauen hingegen grinsten. Der erfahrene Fallschirmspringer kann nur spekulieren, woran das liegt. "Vielleicht daran, dass Männer sich nicht gerne jemand anderem anvertrauen. Beim Tandemsprung muss man dem Tandemmaster alles überlassen." Neuleib hält das Risiko bei Tandemsprüngen aufgrund ausgereifter Technik und guter Ausbildung für sehr gering. Von Föhren, wo er beim Trierer Fallschirmsportclub springt, sind ihm auch nur zwei kleinere Zwischenfälle bekannt. Dennoch bekam auch er es als erfahrener Springer einmal so richtig mit der Angst zu tun. Das war, als sein Vater, damals 75 Jahre alt, erstmals mit ihm sprang. "Ich bekam im Flieger Magenkrämpfe und dachte, hoffentlich weiß er, was er tut." Verantwortlich fühle er sich immer, aber bei Verwandten sei das noch schlimmer. Der Vater, für den es der zweite Tandemsprung war, blieb hingegen "ganz cool". Zu Recht. Der Sprung klappte einwandfrei. Christian Neuleib kann sich für alles begeistern, was mit dem Fliegen zu tun hat. Was die Faszination des Fallschirmspringens ausmacht - "1150 Sprünge und es war nie langweilig!" - kann er jedoch nicht so recht sagen. Der freie Fall, bei dem man Wolken, Wind und Wetter direkt erlebt und mit Händen und Füßen lenken kann? Oder das Freiheitsgefühl und die Tatsache, dass einem da oben die Sorgen vom Boden so unscheinbar vorkommen - ganz wie bei Reinhard Mey? Fest steht für Neuleib jedenfalls: "Wenn man ein Leben lang Fallschirm springt, sieht man automatisch alles lockerer." Dazu lacht er wieder - und man ist geneigt, ihm zu glauben.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort