Trauer im Gerichtssaal

WITTLICH. Zu drei Jahren und neun Monaten Haft sowie zum endgültigen Entzug der Fahrerlaubnis wurde der 20-jährige Michael W. aus Landscheid verurteilt. Das Gericht stellte eine besondere Tragik und Schwere der Schuld fest.

Sichtlich erschreckt von den eigenen Taten nahm Michael W. neben seinem Verteidiger Helmut Kutscheid Platz, nachdem ihm die Handschellen abgenommen wurden. Seit fünf Monaten sitzt er in Untersuchungshaft, die Anklage: 25 Mal unerlaubter Erwerb von Betäubungsmitteln, vorsätzliches Führen eines Fahrzeugs unter Drogeneinfluss, fahrlässige Tötung, Unfallflucht. Am 12. Oktober gegen 6 Uhr morgens war er nach einem "Schuss" Heroin zu schnell und ohne Fernlicht in einen Baustellenbereich bei seinem Heimatort Landscheid gefahren, hatte dabei den 14-jährigen Fußgänger Benjamin K. übersehen und so schwer verletzt, dass dieser am Unfallort starb. Doch W. fuhr weiter ohne auszusteigen und deponierte sein schwer beschädigtes Auto in der elterlichen Garage. Die besondere Tragik: Der getötete Junge kümmerte sich daheim um seinen Bruder, der seit Jahren im Wachkoma liegt. Beide Familien, die des Opfers und die des Täters, saßen im Gerichtssaal und verfolgten teils unter Tränen die Verhandlung. Richter Karl Franz Russell machte in seinem Urteil - drei Jahre und neun Monate Haft nach Jugendstrafrecht und endgültiger Entzug der Fahrerlaubnis - klar, dass es sich um einen bemerkenswerten Prozess handele: "Es ist hier der erste Unfall unter Heroineinfluss mit tödlichem Ausgang." Er konstatierte eine Schwere der Schuld und einen Hang zu schädlichen Neigungen: "Es ist nicht ein Schuss vor den Bug, sondern ein Schuss in den Bug notwendig." "Teufelszeug" am Werk

Lediglich die Tatsache, dass der in seiner Reife verzögerte junge Mann nicht die Kosten des Verfahrens tragen müsse, zeige, dass Nachsicht geübt worden sei und dass er Therapie und Buße brauche, um ein neues Leben beginnen zu können. Damit blieb er nur wenig unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägervertreters. Die nannten W. eine "tickende Zeitbombe", dessen Verhalten durch nichts entschuldbar sei und der das Leben von zwei Familien zerstört habe. Dabei zeigte sich im Laufe der Verhandlung, welches "Teufelszeug", so Verteidiger Kutscheid, bei seinem Mandanten am Werk gewesen sei. Der bereut ernsthaft und sagte leise, er wünsche sich sehr, das Ganze ungeschehen machen zu können. Doch die Schieflage seines eigentlich behüteten Lebens in geordneten Verhältnissen begann schon mit 13 Jahren, als er mit dem Konsum von Haschisch begann und bald auf harte Drogen umstieg. Zum Schluss war er süchtig nach allem: Amphetamine, Extasy, Heroin, Kokain, Tranquillizer. Aus dieser Zeit resultierte schon eine zur Bewährung ausgesetzte Jugendstrafe von anderthalb Jahren. Es gelang ihm mit ambulanter Therapie vorübergehend, clean zu werden, doch der Leidensdruck von Liebeskummer bescherte ihm ein Jahr später wieder den Absturz. Schon eine Woche vor dem tödlichen Unfall überschlug sich W. mit seinem Pkw unter Heroineinfluss - dass er in dem Zustand absolut fahruntüchtig war, war ihm also bewusst. Entzugserscheinungen brachten ihn jedoch dazu, nachts nach Morbach zu fahren und sich Heroin zu spritzen. "Ich habe mich danach wieder normal gefühlt", gab er an auf die Frage, ob er euphorisch gewesen sei. In einem Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Uni Mainz wurde erklärt, wie sehr Drogenabhängige die Einschätzung für ihre eigene Leistungsfähigkeit verlieren. Nach dem "Schuss" wollte W. nur eins: "Nach Hause. Ich bin immer nach Hause gefahren." Die Eltern, bei denen er wohnt, wussten seit dem ersten Urteil von seiner Sucht und taten alles, um ihren Sohn bei seiner Rückkehr in die Normalität zu unterstützen. Selbst eigene Urinkontrollen hatten sie durchgeführt und sein Taschengeld auf null gekürzt. Der tragische Irrtum aller, einschließlich des Täters: "Sie hatten gedacht, die Drogen überwunden zu haben", brachte es die Jugendgerichtshilfe auf den Punkt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort