Und es ward Licht

Trier · Sänger Nicholas Müller liest in Trier aus seinem Buch über seine Angsterkrankung. Vor 150 Zuschauern erzählt er von seinen dunkelsten Stunden und den Momenten, in denen es wieder hell wurde.

 Nicholas Müller TV-Foto: Mandy Radics

Nicholas Müller TV-Foto: Mandy Radics

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Trier Da hat einer schon viel Erfolg gehabt in seinem Leben, hat vor ausverkauften Hallen und einem Millionen-Fernsehpublikum gespielt, hat einen ziemlich wichtigen Musikpreis, den Echo, gewonnen. Da verdient einer Geld damit, anderen Menschen etwas vorzusingen und vorzulesen, da kann einer davon leben, das zu tun, was er am meisten liebt. Und dann ist er trotzdem einer von vielen. Einer von zehn Millionen.
So viele Angstkranke gibt es in Deutschland, schätzt die Deutsche Angstselbsthilfe. So viele Menschen empfinden Angst nicht so wie andere, als Aufregung und unangenehmes Gefühl, sondern als lebensbedrohlich. Wie sich das anfühlt, beschreibt Nicholas Müller (36) sehr anschaulich und detailliert in seinem Debütwerk "Ich bin mal eben wieder tot". Zum Beispiel als Panik-Episode in einem Supermarkt. Für viele eine alltägliche Aktivität, für Angstkranke mitunter eine Tortur. Und während der Kopf eigentlich weiß, dass es "nur" eine Panikattacke ist, die ihn da gerade schwitzen und keuchen lässt und schwindelig macht und an den nahenden Tod glauben lässt, suggeriert der Verstand dem Körper trotzdem: Du musst fliehen, hier geht's um Leben und Tod. Ur-Instinkt eben, nur dass weit und breit kein Säbelzahntiger zu sehen ist. Müller liest und beschreibt das im vollen Kasino Kornmarkt so eindrücklich, dass auch die Menschen im Publikum, die nicht an einer Angststörung leiden, merken, was dieser Mann - und die vielen anderen Betroffenen - durchgemacht haben. Das sei auch ein Ziel des Buches gewesen, sagt Müller. Und so hilft er dabei, bei Nichtbetroffenen um Verständnis zu werben und psychischen Erkrankungen den "Der-gehört-in-die-Klapse"-Stempel abzurubbeln.
Diese Lesung ist ein Wechselbad der Gefühle, natürlich, weil es um Angst geht, aber auch um Trauer und Bestürzung, wenn Müller von den Krebserkrankungen und dem Tod seiner Oma und seiner Mutter erzählt - zwei der Gründe für seine Angststörung.Vorlesen will er die beiden betreffenden Kapitel nicht mehr, das habe er nach der zweiten Lesung der Tour gemerkt. Das geht zu nah. Und dann wird's saukomisch, wenn er zum Beispiel über den mehrwöchigen Therapie-Aufenthalt in einer Klinik spricht, der ihm dabei geholfen hat, seine Krankheit besser in den Griff zu bekommen.
Oder wenn er über die Kindheit und Jugend in der Eifel spricht, eine glückliche zwar, aber auch eine beengt-beschränkte. Jedes Dorfkind weiß das. An seinem Heimatort Daleiden lässt Müller kein gutes Haar, und die Eifel-Zweifel sind an diesem Abend ein riskantes Unterfangen, ist die Römerstadt doch das größte Dorf der Eifel. Jeder Trierer weiß das. Und dann "ist hier heute fast jeder, der im Buch erwähnt wird, da".
Tobias Schmitz zum Beispiel, mit dem Müller das Duo von Brücken bildet, nachdem er 2014 wegen seiner Erkrankung bei Jupiter Jones aussteigen musste. Weil ohne Musik bei Nicholas Müller gar nichts geht, geht auch bei seiner Lesung nichts ohne Musik: Am Anfang spielt er den Song "Wände" von Spaceman Spiff, der auch im Buch abgedruckt ist, am Ende "Trusty and true" von Damien Rice. In der Mitte gibt's ausnahmsweise ein Lied von Brücken, weil das Duo heute vollständig ist. "Die Parade" heißt es und handelt vom Tod. Eine gute Idee von jemandem, der jahrzehntelang ständig fürchtete, dass sein letztes Stündlein gekommen ist? Ja - wenn man die Perspektive wechselt: "Wenn Gras über mich gewachsen ist, dann werd ich ein Garten", singt Müller und fordert von den künftigen Hinterbliebenen, "Le Moribond" für ihn zu spielen, wenn's soweit ist.
Von Brücken packt dann auch den Refrain des Jacques-Brel-Lieds als Aufforderung hinein: "Je veux qu'on rie, je veux qu'on danse. Je veux qu'on s'amuse comme des fous (Frei übersetzt: Ich will Gelächter, ich will Tanz. Ich will Vergnügen wie verrückt)". Alles klar, wird gemacht! Warum auch nicht? Man kommt aus diesem Leben ja doch nicht lebend raus.
Die deutsche Angstselbsthilfe ist
im Internet erreichbar unter
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