Ungewöhnliche Begegnung auf der Kellertreppe

"Was machst du?" fragte ich an einem Morgen meinen Großvater. "Ejch hänken de Fohnen ob!" Ohne einen einzigen Blick in meine Richtung zu verschwenden, war er damit beschäftigt, ein großes weißes Bettlacken an einer langen Bohnenstange zu befestigen. Auch ich lief gerne beim Spiel mit einem kleinen bunten Fähnchen gegen den Wind und freute mich, wenn es kräftig flatterte. Aber noch nie war mir ein alter Mann mit einer solch großen weißen Fahne begegnet; und schnell laufen konnte Großvater auch nicht mehr. Mit zwei kräftigen Doppelknoten hatte er gerade das weiße Tuch befestigt, als Großmutter durch das geöffnete Küchenfenster nach draußen rief: "Pitta, mach viehrohn, se kommen!" Aus dem Unterdorf hörte ich lautes, dunkles Motorengeräusch. Mit einem kräftigen Ruck schnappte mich meine Mutter von hinten unter die Arme: "Komm schnell in den Keller!" Sätze dieser Art kannte ich. Sie waren mit Hektik, Unheil, Angst und Bedrohung verbunden.Dauerlauf in den nahen Wald

War noch genügend Zeit, folgte ein kleiner Dauerlauf zum nahen Wald, um uns dort in einem Stollen vor den anfliegenden Bombern zu verstecken. Doch heute hieß es: keine Zeit, kein Dauerlauf, ab in den Keller! "Kohlba-Phielepp", so sein Dorfname in Dreis, war unser Nachbar und Besitzer des sehr stabilen, tief in die Erde gebauten und gut abgestützten Kellers. Hier saß schon seine Familie. Meine Mutter, meine Schwester Ursula und ich kamen nun dazu, und wir versuchten es uns auf den Kartoffeln bequem zu machen. "Weilen kommen se, de Amis", sagte jemand! Lauter und immer lauter wurde es im Hof; dann Stille, keine Motorengeräusche, nur noch fremdartige Stimmen. Als Erster wagte sich unser Nachbar nach draußen, kam nach einigen Minuten zurück, gab uns zu verstehen, wir brauchten keine Angst zu haben und könnten den Keller wieder verlassen. Auch ich stieg hinter meiner Mutter langsam die steile Treppe hinauf. In meiner Augenhöhe, an der oberen Stufe sah ich zunächst zwei große Schnürstiefel, dann eine Tarnhose, Gürtel, Feldflasche, Waffen. Eine schwarze Hand mit einem Schokoladenriegel streckte sich mir entgegen. Erschrocken schaute ich weiter nach oben, in ein schwarzes Gesicht, mit weißen Zähnen, die ich viel größer sah, als sie in Wirklichkeit waren. Schreiend an den Rockzipfel gehalten

Schreiend drückte ich mich an ihm vorbei, griff zum Rockzipfel meiner Mutter, denn dort fühlte ich mich doch geborgen. Weinend, aber jetzt doch schon wieder neugierig, schaute ich zurück und sah ein breites, freundliches Grinsen auf dem Gesicht des Schwarzen. Vergessen habe ich ihn nie! Immer wenn ich einen Riegel "Schwarze Herren-Schokolade" esse, denke ich an ihn, mit einem leisen "Dankeschön" für ein nicht angenommenes Stück schwarzer Schokolade. Hoffentlich hat er die letzten Kriegstage überlebt! Vielleicht lebt er auch heute noch, wer weiß. Es wäre schön, denn "Black is beautiful", was im Dialekt soviel heißt wie "Schwarz as scheen". Werner Klein, gebürtiger Saarländer, ist aufgewachsen in Dreis. Der gelernte Buchdrucker (62) arbeitet als selbstständiger Grafiker in Wittlich.

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