Gedenken Vergeben, aber niemals vergessen

Lösnich · Mit einer Gedenktafel werden die jüdischen Bürger Lösnichs (Kreis Bernkastel-Kues) geehrt, die im Dritten Reich ermordet wurden. Aus der ganzen Welt sind Nachfahren der Holocaust-Opfer nach Lösnich angereist, um der Enthüllung der Tafel beizuwohnen.

 Die Gedenktafel erinnert an die fünf ermordeten Lösnicher Juden. Die kleinen Steine sind Teil einer jüdischen Tradition: Beim Besuch eines Grabes werden diese hinterlassen als Zeichen, dass der Verstorbene nicht vergessen ist.

Die Gedenktafel erinnert an die fünf ermordeten Lösnicher Juden. Die kleinen Steine sind Teil einer jüdischen Tradition: Beim Besuch eines Grabes werden diese hinterlassen als Zeichen, dass der Verstorbene nicht vergessen ist.

Foto: (m_mo )

„Es gibt keinen Weg zum Frieden, der Frieden ist der Weg“, verkündet das Schild an einem Sandstein mitten in Lösnich. Heute herrscht hier Frieden – die schrecklichen Ereignisse, an die die Gedenktafel erinnern soll, scheinen weit entfernt.

Doch es ist noch keine 80 Jahre her, dass die jüdische Bevölkerung Lösnichs restlos vertrieben oder deportiert wurde. 1930 hatte der kleine Ort noch elf jüdische Einwohner, aber schon 1936 keine mehr. Sie flohen ins Ausland oder in größere Städte, wo sie hofften, von den Repressalien durch die Nationalsozialisten verschont zu bleiben. Josef und Caroline Kaufmann sowie Mathilde, Marianne und Josef Schömann verbrachten den größten Teil ihres Lebens in Lösnich, bevor sie zur Flucht gezwungen waren. 1941 und 1942 wurden sie in den Vernichtungslagern des Dritten Reichs getötet.

In ihrem Gedenken wurde nun in Lösnich eine Plakette enthüllt. Die findet deutlichere Worte als es in der Aufarbeitung der NS-Zeit häufig der Fall ist: Die Kaufmanns und die Schömanns sind nicht „ums Leben gekommen“ oder „Opfer des Holocaust“ – auf der Tafel steht eindeutig, dass sie „von den Nationalsozialisten 1941-1945 ermordet wurden“. Darunter prangen die Namen und Lebensdaten der fünf Juden, denen die Flucht nicht gelang. Dennoch stimmt das Zitat am oberen Rand der Tafel versöhnliche Töne an. Es war eine Idee des Gemeinderats. Ortsbürgermeister Winfried Gassen erklärt: „Wir haben dieses Zitat ausgesucht, weil wir ein Zeichen setzen wollten, dass hier etwas Schreckliches passiert ist, aber dass es doch Versöhnung und Hoffnung gibt.“

 Marianne Schömann, geborene Adler, und ihr Ehemann Josef Schömann. Sie flohen 1935 erst nach Trier, dann nach Den Haag, wurden aber letztendlich ins Vernichtungslager in Auschwitz deportiert. Alle Fotos: privat

Marianne Schömann, geborene Adler, und ihr Ehemann Josef Schömann. Sie flohen 1935 erst nach Trier, dann nach Den Haag, wurden aber letztendlich ins Vernichtungslager in Auschwitz deportiert. Alle Fotos: privat

Foto: (m_mo )

Die Gestaltung, die Formulierung und der Standort der Gedenktafel waren schnell beschlossen. „Da gab es keine Diskussion“, erzählt Gassen. Der Stein mit der Tafel stehe „an einem geschichtsträchtigen Ort, wo ihn jeder sehen kann.“ Denn hier, an der Kreuzung der Hauptstraße und der Herrengasse, lebten früher die jüdischen Familien in Lösnich. Ein paar der alten Häuser stehen sogar noch.

Gedenken: Vergeben, aber niemals vergessen
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In einem ist Marie-Luise Conen aufgewachsen. Sie initiierte die Anbringung der Tafel. Die Idee hatte sie bei Recherchen zu einem Buch über jüdische Familien von der Mittelmosel. Sie trat mit dem Plan an den Gemeinderat Lösnich heran, der ihr sofort Unterstützung zusagte. Auch sogenannte Stolpersteine wie etwa vor der Justizvollzugsanstalt in Wittlich waren zunächst im Gespräch. „Aber die Tafel gefiel mir besser, da sie einen zentralen, gemeinsamen Gedenkplatz schafft“, erzählt Conen.

Die Autorin und Psychologin studierte jüdische Familiengeschichten, kontaktierte Nachfahren, sammelte Briefe. Einen dieser Briefe, das letzte Lebenszeichen der Mathilde Schömann, las Conen bei der Enthüllung der Gedenktafel vor. Schömann schickte den Brief im November 1941 an ihre Kinder, die bereits in die USA emigriert waren.

Darin schildert sie ihre Probleme bei der Ausreise aus Deutschland. Sie wusste damals noch nichts vom kurz zuvor beschlossenen Auswanderungsverbot für Juden. „Ich habe aber Gottvertrauen“, schreibt sie. „Er wird uns nicht verlassen und wird mir helfen.“ Im September 1942 wurde sie im Vernichtungslager Treblinka ermordet.

 Das Haus der Kaufmanns, in dem Marie-Luise Conen aufgewachsen ist.

Das Haus der Kaufmanns, in dem Marie-Luise Conen aufgewachsen ist.

Foto: (m_mo )

Schömanns Enkel, Martin Holzinger, nahm eigens für die Enthüllung der Gedenktafel eine Reise von den USA nach Lösnich auf sich. Auch in Frankreich, England, Holland und der Schweiz konnte Conen Nachfahren der ermordeten Juden ausfindig machen, die zum Festakt anreisten. Holzinger zeigte sich in seinem Grußwort dankbar, dass Lösnich die Erinnerung an seine Familie und andere Juden aufrecht erhält. „Es kommt eine Zeit, in der wir vergeben müssen – niemals vergessen, aber vergeben“, sagte er.

Lösnich war einer der ersten Orte der Region, die Juden erlaubten, innerhalb des Dorfes zu leben. Die jüdische Gemeinschaft war keine Parallelgesellschaft, unabhängig vom Dorfleben: Josef Schömann war Mitbegründer und langjähriger Dirigent des Musikvereins, bis er gezwungen war, sein Amt abzulegen. Auch hier hinterließ der Nationalsozialismus seine Spuren, auch hier ist es wichtig, nicht zu vergessen.

„Niemand will vergessen werden; unsere Identität hängt damit zusammen, dass man sich an uns erinnert“, erklärt Conen. „Das jüdische Leben wurde in vielen Orten ausgelöscht. Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass jüdische Bürger mal zum Alltag gehörten und auch heute wieder gehören können.“

 Die Nachfahren zusammen mit Marie-Luise Conen vor dem jüdischen Friedhof in Lösnich. V.l.n.r.: Nicole Schemann (Frankreich), Michael Levine, Laura Holzinger, Joan Holzinger, Martin Holzinger (alle USA), Yvonne Crampin (England), Jill Wolff (Schweiz), Marie-Luise Conen, Bernard Schemann (Frankreich), Sandra Wolf (England).

Die Nachfahren zusammen mit Marie-Luise Conen vor dem jüdischen Friedhof in Lösnich. V.l.n.r.: Nicole Schemann (Frankreich), Michael Levine, Laura Holzinger, Joan Holzinger, Martin Holzinger (alle USA), Yvonne Crampin (England), Jill Wolff (Schweiz), Marie-Luise Conen, Bernard Schemann (Frankreich), Sandra Wolf (England).

Foto: (m_mo )

Denkmäler wie die Gedenktafel in Lösnich gehören zum kulturellen Gedächtnis. Sie stellen einen Draht zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit her, machen aus einem kalten historischen Faktum etwas Greifbares. Vielleicht können sie durch die Kraft des Erinnerns auch etwas dazu beitragen, dass man hierzulande nicht mehr vom Weg abkommt. Denn: „Der Frieden ist der Weg.“

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