Vom Gotteshaus zur Kulturstätte

WITTLICH. Vor zwei Wochen schilderte Jürgen Schmidt an dieser Stelle, wie er als Kind die leer stehende Synagoge zum Versteckspielen nutzte, bis er von der Geschichte des Hauses erfuhr. Hier die weitere Entwicklung bis zur Eröffnung der Kultur- und Tagungsstätte:

Im Frühsommer des Jahres 1973 wurde ich Zeuge einer Äußerung des damaligen Bürgermeister Karl-Adolf Orth, er würde sich gerne mal in der Synagoge umsehen. Ich bot ihm an, ihn dorthin zu bringen, da ich das Geheimnis der hinteren Tür kannte. Durch meterhohe Brennnesseln kämpften wir uns zur Rückfront der Synagoge, und nach ein bisschen Hin- und Herwackeln am Stein und am Schloss war die Tür auf. Es war für mich eine beeindruckende Situation, als Bürgermeister Orth schweigend durch die Halle schritt, mit den Füßen Reste von Stroh vor sich herschiebend. Stroh, das aus den Betten der französischen Kriegsgefangenen stammte. In der Hallenmitte blieb er stehen, stumm! Die Ereignisse der schrecklichen Vergangenheit beschäftigten ihn offenbar sehr. Nach minutenlangem Schweigen sagte er: "Es ist eine Schande, das werden wir ändern!" Noch im selben Jahr nahm Bürgermeister Orth Gespräche mit der jüdischen Kultusgemeinde Trier auf. Unterstützt wurde er dabei von unserem heutigen Ehrenbürger Wilhelm Schrot. Die jüdische Kultusgemeinde hatte zunächst große Vorbehalte wegen einer zukünftigen Nutzung ihres ehemaligen Gotteshauses. Die Verhandlungen führten zwei Jahre später zum Erwerb des Gebäudes durch die Stadt Wittlich. Mit finanziellen Hilfen des Bundes, des Landes und des Landkreises wurde im Dezember 1975 mit der Restaurierung begonnen. Eine Million Mark übernahmen Bund und Land, 100 000 Mark der Landkreis und 300 000 Mark die Stadt Wittlich. Architekt Lubens Simon war der verantwortliche Bauleiter für die Restaurierung. 1908 hatte der Synagogenvorstand den Wittlicher Kreisbaumeister Johannes Vienken mit dem Entwurf und der Bauleitung des Synagogenneubaues beauftragt. Aus dieser Zeit befanden sich noch Originalzeichnungen der Jugendstil-Malereien des Innenraumes sowie des gewaltigen imposanten Kronleuchters, der 1938 zerstört wurde, bei der Familie Vienken. Die Jugenstil-Malereien wurden von der Wittlicher Künstlerin Ursula Hess wiederhergestellt, während der Kronleuchter nach den Originalplänen von Schlossermeister Wilhelm Schrot nachgebaut wurde. Am 11. März 1977 wurde im Rahmen eines feierlichen Festaktes mit hochkarätigen Gästen aus der alten jüdischen Synagoge die Kultur- und Tagungsstätte Synagoge Wittlich eröffnet. Die musikalische Taufe bei dieser Feierstunde erhielt die neue Synagoge durch das Wittlicher Kammerorchester mit dem Zweiten Brandenburgischen Konzert F-Dur von Johann-Sebastian Bach, und ich war als Geiger dabei. Es war ein einmaliges Erlebnis für mich und ein herausragender Tag für die Stadt Wittlich. Wenn auch Sie eine historische Anekdote kennen, den Namen eines Hauses oder einer Straße erklären können oder zu einem historischen Ereignis eine persönliche Geschichte zu erzählen haben, schreiben Sie unter dem Stichwort "Stadtgeschichten" mit Namen, Adresse und Telefonnummer an die E-Mail-Adresse mosel@volksfreund.de. Wichtig ist, dass Ihre Geschichte höchstens 60 Druckzeilen (à 30 Anschlägen) umfasst.

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