Von Fischen und Gedichten

WITTLICH. (red) "Einer, der Gedichte schreibt" war zu Gast im Peter-Wust-Gymnasium: Reiner Kunze, Lyriker und Prosadichter, besuchte Schüler und Lehrer der Deutsch-Leistungskurse der MSS 13.

Während er die Kapelle betrat, herrschte ehrwürdige Stille, die auch nicht abbrach, als Dr. Losemann den hohen Besuch ankündigte, den jeder schon an dessen Aura als den erkannte, den man mit respektvollem Schweigen begrüßen sollte. "Das Leben ist zu kurz, um sich zu langweilen", so lautete Reiner Kunzes Versprechen, dass er die Schüler nicht langweilen werde, vor der Lesung. Die Schüler seien nicht schuld, dass er hier sei, und er selbst auch nicht, und deshalb habe er nicht das Recht, die Zuhörer zu langweilen. Als Schuldigen benannte Kunze den ebenfalls anwesenden Initiator Clemens Greve, jetzt Geschäftsführer der Frankfurter Kulturstiftung Holzhausenschlösschen, der seiner ehemaligen Schule und seiner früheren Deutschlehrerin das noble Geschenk dieser Autorenlesung gemacht hatte. Reiner Kunze wählte das Werk eines anderen, des tschechischen Dichters Jan Skácel, als Einstieg, den Zuhörern den Weg zur Poesie zu öffnen und Verständnis für diese Art der Kommunikation zu wecken. Am Problem von Übersetzungen, die Qualität aufweisen und dem ursprünglichen Text gerecht werden wollen, versteht der Zuhörer: Poesie braucht "Königszeilen, die nie da gewesen, ihren festen Platz in der Vorstellung des Lesers einnehmen". So machte Kunze die Schüler vertraut mit der außerordentlichen Metapher "im Herzen barfuß sein". Was folgte, das obligatorische Fragen-Stellen-Dürfen, brachte nicht nur den Schülern ihre erhofften Antworten; auch Reiner Kunze zog Gewinn. Erfreut und überrascht zugleich lobte er die Definition eines Schülers, der in der Dichter-Leser-Interaktion das Gedicht als eine geniale Variable bezeichnete, als "das Beste", was er "je gehört" habe. Weiter sagte Kunze: "Ein Kunstwerk gibt uns immer nur das, worauf unsere Seele vorbereitet ist", und "Kunst entsteht, wenn die Bilder im Kopf aufkommen, der Blickwinkel verändert sich jedoch". Im Gespräch mit den Schülern wusste er von seiner Studienzeit zu berichten, dem Kollegen Uwe Johnson, dem Leben in der DDR, der Verabscheuung menschenfeindlicher Ideologien, seinem Schreiben und immer wieder seiner Frau, dem "blauen Komma, das Sinn gibt". Und dann las er doch noch vor: von seinen Fischen, den Koi (aus "Der Kuß der Koi"), von der Nutzung von Opas Haaren als Büffelwiese (aus dem Tagebuch "Am Sonnenhang"), aus seinen frühen und späteren Dichtungen, und er erzählte von seiner Anmaßung, als Zwanzigjähriger ein Gedicht über die Liebe zu schreiben. Weise geworden im Alter, führte der fast Siebzigjährige sein heutiges Kopfschütteln über seinen damaligen Hochmut vor. Mit dem Auftrag, die Einsicht nicht an der Ansicht scheitern zu lassen, und den Worten: "Ich wünsche Ihnen für Ihr Leben alles Gute!", verabschiedete sich der Zurückblickende freundlich von den Schülern als denjenigen, die den größten Teil ihres Lebens noch vor sich zu haben scheinen. Marina Kampka, Simon Hassemer, Christina Simon, Nicolas Baumüller (PWG)

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