Wallung im Graben

WITTLICH. Vor dem Amtsgericht wurde gegen einen 55-jährigen Mann aus Reil prozessiert. Die Anklage: Er habe sich einer vorläufigen Festnahme mit Gewalt zu widersetzen versucht.

So schnell kann es gehen: Martin S. fuhr, nichts Böses ahnend, eines Morgens im September 2002 zu einem Geschäftstermin nach Wittlich, hielt abrupt an, weil ihm einfiel, dass möglicherweise wichtige Unterlagen fehlten, und wurde dabei von einer Polizeistreife beobachtet. Bei der Weiterfahrt dämmerte ihm - kurz zuvor schon wegen mangelnder Papiere im Auto zu 15 Euro Strafe verdonnert - , dass er abermals ohne Führerschein und Personalausweis unterwegs war. Unharmonische Fahrweise hatte Folgen

Er setzte wiederum abrupt zurück, um den Heimweg anzutreten und die fehlenden Beweise gut bürgerlicher Identität zu holen. So viel Vergesslichkeit und so viel unharmonische Fahrweise hatten Folgen, denn sie machten den Geschäftsmann verdächtig bei einer zwei Mann starker Polizeistreife, die sich in einer Seiteneinfahrt auf die Lauer gelegt hatte. Der in 37 Dienstjahren erfahrene Polizist G. war sicher: "Da hatte ich einen siebten Sinn, der mir sagte, da stimmt was nicht." Vor allem nach der temperamentvollen Kehrtwendung vermutete der Streifenpolizist Drogen oder Alkohol am Steuer oder gar einen Autodiebstahl, jedenfalls nichts, was man beruhigt der Polizei präsentiert. Temperament scheint im Folgenden - bei allen Widersprüchen in den Aussagen von zwei Beamten gegen einen Angeklagten - sowieso ein Kernelement des Handelns der Beteiligten gewesen zu sein, und selbst beim jetzigen Prozess ein Jahr später schlugen die emotionalen Wogen spürbar hoch, so dass Richterin Päßler wiederholt zu mehr Gelassenheit mahnen musste. Wie auch immer das wohl filmreife Gerangel seinen Lauf nahm: Es wurde von den Parteien sehr gegensätzlich geschildert; am Ende lag der Geschäftsmann an Händen und Füßen gefesselt bäuchlings im Graben und beide bewaffneten Polizisten obenauf: Was nach schließlich doch festgestellten Personalien blieb, waren ein paar ärztlich dokumentierte Hämatome, Schürfwunden und eine Halskrause einerseits, lädierte Hosen andererseits und beiderseits die dann wahr gemachte Drohung, sich gegenseitig anzuzeigen. Das Verfahren gegen die Polizisten wegen Körperverletzung im Amt wurde eingestellt, das wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt nicht, und Martin S. lehnte zunächst das Angebot der Staatsanwaltschaft ab, die Sache gegen ein für solche Tatbestände sehr niedriges Bußgeld von 200 Euro für erledigt zu halten. "Mein Mandant hat ein gut entwickeltes Gerechtigkeitsgefühl", so die Begründung der Verteidigerin Susanne Knob, es sei für ihn eine "extreme Ehrverletzung" gewesen. Er habe die ganze Aktion zwischenzeitlich sogar für einen Überfall gehalten, dabei schlicht große Angst angesichts gezückter und entsicherter Pistole gehabt, gab S. als Grund an für seinen zugegebenen Versuch, sich angesichts der drohenden Mitnahme aufs Traben-Trarbacher Revier "aus der schmerzhaften Umklammerung wegzudrücken". "Niedrigste Stufe körperlicher Gewalt"

Angst scheint auch ein wesentlicher Motor der beamteten Aktion gewesen zu sein, denn das Zücken der Dienstwaffe bei der aus dem Ruder geratenen Routinekontrolle und das Fesseln sei aus Selbstschutz gegen Tritte und Schläge notwendig gewesen, wie Polizist G. angab. "Es hätte ein Straftäter sein können, und wenn sich jemand seiner vorläufigen Festnahme entziehen will, müssen wir die niedrigste Stufe körperlicher Gewalt anwenden." Seit 20 Jahren sei er nicht geschult worden in Polizeigriffen, gab er auf Nachfrage der Verteidigung an, Nachschulungen habe es ebenfalls nicht gegeben. Dass er den Angeklagten tatsächlich während der Prozedur geduzt und ihm befohlen habe, "das Maul zu halten", konnte er sich nicht vorstellen. Aber es gab auf beiden Seiten vieles, was nach einem Jahr zwar nicht geglaubt, jedoch auch nicht ausgeschlossen werden konnte. Wegen der "erdrückenden Beweislast" von zwei Aussagen gegen eine habe sich ihr Mandant, so Knob, schließlich doch mit der 200-Euro-Regelung einverstanden erklärt. Ein ständiges professionelles Training der Polizei im Umgang mit Konflikten bei Kontrollen sei notwendig, um ähnliche Stressfälle zu vermeiden.

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