Wenn’s kracht, blechen beide

Thalfang-Bäsch . (iro) In der Ortschaft Bäsch gilt rechts vor links. Das zumindest ist an den Schildern am Ortseingang zu lesen. Doch wer dort in einen Unfall verwickelt ist, kann nicht davon ausgehen, seinen Schaden komplett ersetzt zu bekommen, egal, ob er von rechts oder von links kommt. Einen solchen Fall entschied jetzt das Oberlandesgericht.

Mitten durch Bäsch führt die Höhenstraße. Sie verbindet die Hunsrückhöhenstraße mit Thalfang. Eine breite Straße, die durchaus den Eindruck macht, als handle es sich um eine Vorfahrtsstraße. Doch andererseits macht ein Schild am Ortseingang Verkehrsteilnehmer darauf aufmerksam, wie die Vorfahrt im Dorf geregelt ist: "In dieser Ortschaft gilt rechts vor links" ist dort zu lesen. Doch was passiert, wenn es dort kracht?Diese Frage musste der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts in Koblenz klären. Im August 2002 stießen an der Ecke Hauptstraße/Hirtenlager zwei Autos zusammen. Das Urteil (Aktenzeichen 12 U 1084/04): Beide Autofahrer werden, was die Schadensregulierung angeht, zur Kasse gebeten.

Und so begründen die Richter ihr Urteil: Maßgeblich ist für sie nicht das Schild am Ortseingang. Es gelten die Regeln der Straßenverkehrsordnung. In Koblenz ging es deshalb um die Frage, ob es sich an der fraglichen Stelle um eine Einmündung oder eine Einfahrt handelt. Denn rechts vor links gilt laut Straßenverkehrsordnung (StVO), wenn Verkehrszeichen vor Ort fehlen, nur bei Kreuzungen und Einmündungen, nicht aber bei Einfahrten. Wer aus einer Einfahrt kommt, ist nicht vorfahrtsberechtigt. Aber was ist eine Einfahrt? Wer über einen Gehweg mit abgesenktem Bordstein auf eine Fahrbahn auffährt, kommt aus einer Einfahrt und kann sich nicht auf die Rechts-vor-Links-Regelung berufen. So heißt es in Paragraf 10, StVO.

Doch jetzt wird's kompliziert. Denn in Bäsch gibt es keine Bürgersteige mit abgesenktem Bordstein. Der Gehweg ist durch ein Pflasterband markiert, das sich auf einer Ebene mit der Straße befindet. Und einen Gehweg ohne abgesenkten Bordstein sehe der Gesetzgeber nicht vor, erläutert Gerd Grigo, der die Unfallbeteiligte vertrat, die die Höhenstraße entlangfuhr, als sie an der Ecke Hirtenlager mit einem anderen Auto kollidierte, das von rechts kam. Für die Richter ist es nicht abwegig, den Paragrafen 10 auch dann anzuwenden, wenn kein Bordstein der herkömmlichen Art vorliegt. Denn: "Es widerspricht nämlich dem Empfinden des herkömmlichen Verkehrsteilnehmers, dass eine seitlich über den Gehweg geleitete und in der Fahrbahngestaltung durch diesen unterbrochene Straße dennoch vorrangig sein soll."

Also gilt doch Vorfahrt achten für den, der von rechts auf die Höhenstraße auffährt? Die Antwort fällt salomonisch aus. Der Begriff des abgesenkten Bordsteins würde in unzulässiger Weise "überdehnt", wenn ein niveaugleicher Gehweg auch unter diesen Begriff fallen sollte.

Die nahe liegende Lösung aus Richter-Sicht: "Es ist Sache des Verordnungsgebers, der vom Senat aufgezeigten, auf der Dynamik städtebaulicher Ideen beruhender Konfliktlage gegebenenfalls Rechnung zu tragen." Auf deutsch heißt das: Der Bundesverkehrsminister solle die Straßenverkehrsordnung ändern.

Das hält auch Anwalt Grigo für "längst überfällig". Wäre der Paragraf 10 StVO bereits an die städtebauliche Realität angepasst, so hätte seiner Meinung nach nicht der Autofahrer, der aus dem Hirtenlager kam, sondern die Verkehrsteilnehmerin auf der Höhenstraße Vorfahrt gehabt.

Post für Wolfgang Tiefensee

Ihr wäre dann, so die Auffassung des Anwalts, der volle Schadensersatzanspruch zuzusprechen gewesen. Trotz seines Vorfahrtsrechts muss laut Urteil der andere Unfallbeteiligte mithaften. Grigos Mandantin bekam so einen Schadensersatzanspruch von einem Drittel. Denn, so beziehen sich die Richter auf gängige Rechtsprechung, dass niemand "ungeprüft auf ein Vorfahrtsrecht vertrauen dürfe, das für andere Verkehrsteilnehmer schwer zu erkennen ist". Eine Revision ist nicht zugelassen.

Der Morbacher Jurist will den Sachverhalt dennoch nicht auf sich beruhen lassen. Der künftige Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee wird von ihm Post bekommen. Er will ihn bitten, die Straßenverkehrsordnung der veränderten Sachlage anzupassen. Schließlich gebe es immer weniger Gehwege mit abgesenktem Bordstein.

Bis dahin müssen sich die Autofahrer in Bäsch merken: Zwar gilt an Einmündungen und Kreuzungen des Dorfs rechts vor links, aber die Autofahrer sollten sich nicht drauf verlassen.

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