Wie auf der Titanic

LANDSCHEID-NIEDERKAIL. Hochwasser kommen nicht nur an Oder, Rhein und Mosel vor. Im Eifeldörfchen Niederkail hat es Luise Scott erwischt. Bis heute wartet sie vergeblich auf eine wie auch immer geartete Hilfe von behördlicher Seite.

 Vom Schicksal gebeutelt: Die Spuren des Hochwassers sind im ganzen Haus zu erkennen: Luise Scott zeigt die nassen Wände ihres Hauses in Landscheid-Niederkail.Foto: Petra Geisbüsch

Vom Schicksal gebeutelt: Die Spuren des Hochwassers sind im ganzen Haus zu erkennen: Luise Scott zeigt die nassen Wände ihres Hauses in Landscheid-Niederkail.Foto: Petra Geisbüsch

Es gibt Menschen, die auf der Sonnenseite des Lebens wohnen und immer wieder auf die Füße fallen. Zu denen gehört Luise Scott unbestritten nicht. Anfang September vergangenen Jahres fand man in einem Weiher die Leiche ihres 14 Jahre lang verschwundenen, amerikanischen Ehemannes. Anfang Januar nun hat sie die Flut erwischt ­ und das gewaltig. "Ich stand draußen, als eine Welle mich gegen die Hauswand warf", berichtet Luise Scotts Tochter. Das war am 2. Januar. Schon zur Mittagszeit hatte das Erdgeschoss knöcheltief unter Wasser gestanden. In der Nacht hatte Luise Scott die Sirene von Arenrath her gehört, wo die Feuerwehr bereits im Einsatz war. Sie stellte alles bewegliche Inventar auf Tische, Schränke und Anrichte, damit es bei den "nassen Füßen" bleibe, rief per Telefon ihre beiden Töchter zu Hilfe, die kräftig anpackten, und hoffte am frühen Abend, dass sie ­ wie 1996 schon einmal ­ mit einem blauen Auge davon gekommen war. Zunächst sah es auch so aus: Der Pegelstand des unmittelbar am Haus vorbeifließenden Mühlenteichs sank wieder; die Gefahr schien gebannt. Vergeblich hatte man zuvor versucht, Sandsäcke zu bekommen. Doch dann kam das Unheil am Abend in Sekundenschnelle vom Kailbach: Die Tochter riss es draußen von den Füßen, und hinter der Mutter fiel der Küchenschrank um. "Mit solcher Wucht hat sich das Wasser durch die Wände gedrückt!" Die zu 100 Prozent schwer behinderte Frau hatte nicht einmal mehr den Strom abstellen können. Das tat dann die Feuerwehr, bevor sie die Frau aus dem Fenster des ersten Stockes rettete, weil das Haus inzwischen komplett unter Strom stand.Im Haus staut sich die Feuchtigkeit

Wie auf der Titanic habe sie sich gefühlt. Langsam gingen erst unten, dann oben, die Lichter aus. Dann kam der Frost, und schließlich das große Aufräumen. Die Mutter zog vorübergehend zu einer ihrer drei Töchter, die in Hetzerath ein Haus baut. Dort wird sie ohnehin einziehen, wenn es fertig ist. Wie sie sich allerdings über die Zeit bis dahin retten soll, ist ihr ein Rätsel. Das beantragte Wohngeld würde sie riskieren, wenn sie weiterhin in Hetzerath bliebe. Die lapidare Antwort der Wohngeldstelle: Sie wohnen ja gar nicht in Ihrem Haus. Einen Container zur Entsorgung des Mülls, der sich im und ums Haus stapelt, stellt ebenfalls niemand zur Verfügung. Von ihren 300 Euro Rente (die USA zahlen keinen Cent, weil sie nicht lange genug mit dem Amerikaner verheiratet war) kann sich Luise Scott jedoch selbst keinen leisten. Tochter Erna Senczek sorgt in den letzten Tagen wenigstens dafür, dass die Öfen rund um die Uhr laufen. Auch im oberen Stockwerk staut sich die Feuchtigkeit; schlafen ist dort nicht möglich. Es riecht nach Öl, das sich mitsamt dem Wasser im Haus verteilt hat. Auch den Rentenbescheid hat es erwischt. Der wiederum fehlt jetzt, um Gelder zu beantragen. Offenbar vergeblich hofft Luise Scott wenigstens auf eine kleine Soforthilfe, um sich Tapeten, Öfen, die Waschmaschine oder einen Container besorgen zu können.Manche Menschen scheinen vom Pech verfolgt

Damit wäre die bescheidene Frau schon zufrieden. Sie spricht nicht von neuen Sachen, wirft auch nichts weg, was seinen Dienst irgendwie noch tun könnte. Es scheint das Pech von Luise Scott zu sein, dass sie in der Eifel offenbar ein Einzelschicksal ist. Erwischt es die Leute an der Mosel, ist die Kreisverwaltung wenigstens in Sachen Müllentsorgung großzügig. Und nach dem Elbe/Oder-Hochwasser übertrafen sich Fernsehanstalten, Prominente und religiöse Gemeinschaften gegenseitig mit groß angelegten Spenden- und Hilfsaktionen. Das im Dorf als "Bachhaus" bekannte Häuschen sollte beim Verkauf wenigstens etwas Geld bringen: Das hat sich die Familie mittlerweiler aber abgeschminkt. "Es ist zum Verrücktwerden", sagen Luise Scott und ihre drei Töchter, als sie gemeinsam am Tisch in der Küche sitzen. "Manche Menschen scheinen regelrecht vom Pech verfolgt zu sein." Und ob es nun an der neuen Autobahn liegt, am Promenadenweg entlang des Kailbachs, oder an etwas anderem: Lösen werden die vier Frauen das Hochwasserproblem am Küchentisch sowieso nicht. Aber den Appetit lassen sie sich trotzdem nicht verderben. Zumindest eine frohe Botschaft konnte der Bürgermeister der Mehrortsgemeinde Landscheid inzwischen überbringen: Ulrich Müller sicherte dem TV auf Nachfrage verbindlich zu, dass er Frau Scott bei der Müllentsorgung unterstützen werde. Vielleicht wird ja diese Unterstützung zum Lichtlein, das bekanntlich immer von irgendwo herkommt, wenn man glaubt, dass es nicht mehr geht.

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