Wintricher tüfteln wie die Römer

Wintrich · Wozu braucht man Gänsefedern, Rosshaar und Rinderdarm? Einige Wintricher können diese Frage ganz schnell beantworten: um ein römisches Torsionsgeschoss zu bauen.

 Die Wintricher und ihr Gast sind stolz auf ihr Torsionsgeschütz: (von links) Roman Auler, Marco Pälzer, Frank Linden, Achim Becker, Professor Christoph Schäfer, Wolfgang Friedrich (hinten) sowie Gabi Köhnen und Jürgen Plein (vorne). TV-Foto: Ulrike Löhnertz

Die Wintricher und ihr Gast sind stolz auf ihr Torsionsgeschütz: (von links) Roman Auler, Marco Pälzer, Frank Linden, Achim Becker, Professor Christoph Schäfer, Wolfgang Friedrich (hinten) sowie Gabi Köhnen und Jürgen Plein (vorne). TV-Foto: Ulrike Löhnertz

Wintrich. Beulen in der Schubkarre, lange Nachmittage auf dem Schachtfeld und ein Rinderdarm im Kühlschrank: Damit müssen die Familien von Jürgen Plein und Frank Linden aus Wintrich im Moment leben. Denn der Techniker und der Schreiner stecken mitten in einem ungewöhnlichen Projekt: Sie tüfteln an einem römischen Torsionsgeschoss.
Völlig durchlöchert


Diese benutzten die Römer, um ihren Feinden den Garaus zu machen. Schnell, lautlos und absolut tödlich. Wird man von einem Pfeil aus diesem Kriegsgerät getroffen, so hat man keine Chance. Die Pleinsche Schubkarre ist der Beweis: Als die beiden einen Pfeil darauf schossen, blieb die Spitze im Metall stecken. Auch die Scheibe, die etwa 30 Meter hinter dem Geschoss steht, ist völlig durchlöchert.
Christoph Schäfer, Professor für Alte Geschichte in Trier, der ein ähnliches Projekt begleitet, weiß um die Durchschlagskraft der mörderischen Geräte. "Dagegen helfen weder antike Schilder noch antike Panzer. Sie werden einfach durchbohrt", erklärt er. Deshalb geht er ebenso wie die Mitglieder des Vereins Vigilia Romana Vindriacum, die an diesem Nachmittag die Schussversuche auf der Pleinschen Wiese beobachten, zur Seite, wenn Pfeile aus dem Geschoss schnellen.
Messungen hätten ergeben, dass diese beim Verlassen des Geschützes fast 50 Meter pro Sekunde zurücklegen, erklärt Schäfer. Er weiß, wovon er spricht. Schließlich haben er und sein Team bereits ähnliche Geschosse nachbauen lassen und ausprobiert. In Zusammenarbeit mit der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg und der Wehrtechnischen Dienststelle 41 der Bundes- wehr erprobten die Unimitarbeiter im Oktober 2013 auf dem Flugplatz Föhren die vier Waffen (der TV berichtete) - zwei vom Typ Teruel aus dem ersten Jahrhundert und zwei vom Typ Orsova aus dem dritten Jahrhundert. Für Schäfer steht fest: "Es gibt noch viele ungeklärte Fragen." Dazu gehören Informationen über die Beschaffenheit der Bolzen, die Leistungsfähigkeit der Geschosse und die Art der Bespannung. Denn es gibt zwar historische Quellen und Funde, aber sie lassen Spekulationen zu.
Darauf wollen auch die Wintricher Römer sich nicht verlassen. "Wir orientieren uns streng nach historischen Vorbildern", sagt Jürgen Plein. So basiert ihr Nachbau, der in einem Jahr in hunderten Arbeitsstunden entstanden ist, auf Beschreibungen des Modells Scorpio aus der Zeit von Augustinus sowie auf Funden. Auch das Material soll möglichst originalgetreu sein.
Verwendet wurden auf Kosten des Vereins Rosshaar für die Torsionsbündel, über die Spannung auf die Spannarme ausgeübt wird, Holz für das Gestell, Eisen für die Pfeile und Beschläge, Gänsefedern für die Bolzen und Hanf für die Bespannung.
Oder doch Darm? Eine Frage, die die Wintricher brennend interessiert. Und so gibt es an diesem Nachmittag eine Premiere: Plein und Linden verwenden erstmals eine Bespannung aus Rinderdarmsehnen, die getrocknet und miteinander verflochten wurden. Das ist auch für Professor Schäfer spannend. Vorsichtig tasten sich die beiden heran. Die Bespannung wird von Versuch zu Versuch fester gezurrt. Immer hin: Die Pfeile schaffen es auf fast 30 Meter (bei den Römern waren es bis zu 200). Dann reißt die Sehne.
Dennoch: "Das ist beeindruckend", sagt Schäfer. Und während die Vereinsmitglieder und der Professor beim abschließenden, nicht ganz originalen römischen Gelage - es gibt Grillgut, Nudelsalat und weniger Alkohol, als den Römern lieb war - fachsimpeln, ist man sich sicher: Es gibt noch viel zu tun in Sachen Torsionsgeschütze.
Extra

Die römischen Torsiongeschütze funktionieren nach dem Pfeil- und Bogen-Prinzip. Jedoch wird hierbei eine ungleich stärkere Spannung aufgebaut. Beim Zurückziehen der beiden Spannarme aus Holz wird ein Bündel aus Rosshaar verdreht und gibt mehrere Hundert Kilo Spannung auf die Sehne, was bei Entriegeln des Spannhebels den Bolzen nach vorne schnellen lässt. In einer römischen Legion waren etwa 60 Torsionsgeschosse im Einsatz. Pro Minute können drei Schuss abgefeuert werden. utzExtra

 Sogar den Metallgriff einer Schubkarre hat der Pfeil des Wintricher Torsionsgeschützes durchbohrt. TV-Foto: Ulrike Löhnertz

Sogar den Metallgriff einer Schubkarre hat der Pfeil des Wintricher Torsionsgeschützes durchbohrt. TV-Foto: Ulrike Löhnertz

Der Verein Vigilia Romana Vindriacum ist 1997 gegründet worden. Die Mitglieder beschäftigen sich vor allem mit dem römischen Weinbau und dem Weindorf Wintrich (Vindriacum). In Wintrich sind ein römischer Kelter und eine Villenanlage bekannt. Seit vielen Jahren ist der Verein in ganz Deutschland und in einigen europäischen Nachbarländern unterwegs - unter anderem beim renommierten Treffen in Xanten. Nächster Termin ist vom 29. Mai bis 1. Juni bei den Historienspielen auf der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz. Dort kommt auch das neue Torsionsgeschoss zum Einsatz. utz Kontakt: Jürgen Plein, Telefon 06534/940303; www. vigilia-romana-vindriacum.de

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