Zwischen Dom und Boor

PIESPORT-FERRES. Autos, Radlern und Medien zum Trotz haben sich die zwei Dutzend Ferreser zwischen "Dom" und "Boor" ein beschauliches Leben bewahrt.

"Wir Ferreser haben zusammen gehalten wie eine große Familie", erinnert sich Elsbeth von Tayn. Was die 75-Jährige aber nicht abhielt, eine viertel Stunde Fußweg weiter nach Alt-Piesport am Fuß der Serpentinen Richtung Klausen zu ziehen. Doch ihr Herz gehört Ferres. So wie das ihrer Schwester, die bald zumindest an den Wochenenden dorthin zurück kehrt. Der Verbundenheit mit dem kleinen Dorf fernab vom Durchgangsverkehr können offensichtlich weder Jahre noch Entfernungen etwas anhaben. Das macht auch die Lektüre des kürzlich von Helmut Steffen veröffentlichten Fotobandes über Ferres deutlich. "In Ferres findet man noch Beschaulichkeit wie vor 100 Jahren", schreibt Steffen. Ein Zustand, den die zwei Dutzend Bewohner nach dem vor Jahren schon befürchteten Aussterben des Ortes auch gar nicht ändern wollten. Der Autor, ein Piesporter, kennt die Leute dank verwandtschaftlicher und Fußballer-Kontakte. Er weiß, worauf die Ferreser, die Gründer der Winzerkapelle Piesport, stolz sind. Da ist der "Ferreser Dom", die auf das 17.Jahrhundert datierende, 1929 renovierte Kapelle. Mit dem Bau ist die Legende um das heute in Piesport St. Michael zu sehende Holzkreuz verbunden, das in Ferres angeschwemmt worden sein soll. Zum anderen ist da der 1884 errichtete "Boor", der bis in die 50er Jahre auch als Treffpunkt genutzte Dorfbrunnen, dessen Bau Ferres seit 1984 alle zehn Jahre feiert. das nächste "Boorfest" ist am 31. Juli und 1. August. Außerdem hat Ferres einen berühmten Sohn, der als Bruder Eberhard den Wallfahrtsort Eberhards-Klausen gründete und zu dessen 500. Todestag 1951 der Bischof im Dorf war. Und nicht zu vergessen das Goldtröpfchen, das aus den Weinbergen zwischen Ferres und Piesport stammt. In den 15 Häusern des Straßendorfs, bei dem es schon zur Römerzeit eine Furt gegeben haben soll und das sich laut der Chronik "Weinort Piesport" von "Bavaries" (1168) zu "Verres" (1446) wandelte, leben längst nicht mehr nur waschechte Ferreser. Während sich Zugezogene, wie Familie Eisele, rasch einlebten, stellen dort geborene wie Hans Kritten und seine Frau Bärbel eine Minderheit dar. Lachend denkt die 71-Jährige an ihre Kindheit, als sie bei Glatteis stets zu spät zur Schule kamen: "Die Jungen haben uns immer zurück gehalten." Ihre Schuhe stellten sie zuvor meist im "Heiligenhäuschen" ab, wie Irmgard Bombarding, 77, erzählt: "Man wollte doch nicht schmutzig in die Schule." Ein Besuch in Ferres endete noch vor wenigen Jahren in einer Sackgasse. "Beim Nikolausfelsen war Schluss - hier war eigentlich Ende der Welt", erinnert sich Willi Bombarding, Jahrgang 1951. Bei Hochwasser musste die Hebamme durch die Weinberge kraxeln.Jeder darf im "Dom" die Glocken läuten

Dennoch fühlten sich Neubürger schnell heimisch. Wie der eingeheiratete Hermann Bähr, der in Ferres lernte, heute einen Anstreicherbetrieb dort hat und in seiner Freizeit Bilder malt. Anfangs gefiel ihm sogar das Hochwasser - bis 1993, als es auch Ferres arg traf. Auch Anna Freudenreich, die 1947 aus der Eifel an die Mosel kam, fühlt sich dort wohl. "Die Arbeit hat mir besser gefallen als die Bauernarbeit", gesteht die 87-Jährige. Schwiegertochter Irene ist seit 1984 Küsterin im "Dom", wo seit wenigen Jahren Hochzeiten und Taufen stattfinden und einmal im Jahr eine Messe. "Wir passen auf unsere Kapelle auf", berichtet sie von diversen vereitelten Diebeszügen. Dennoch lässt sie die Tür der Kapelle, in der jeder jederzeit die Glocke läuten kann, offen. Es kämen viele Radfahrer vorbei. "Und wenn mal Not ist und man steht vor verschlossener Tür - das ist nicht richtig".

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort