Das Kino vor der Kirche

Ein kleiner Bildschirm für den Organisten, eine große Leinwand für die Zuschauer. Und dazu eine perfekt funktionierende technische Übertragung der Musik aus der Abtei nach draußen. Die Zisterziensernacht 2007 ist eine gelungene Zusammenführung von Freiluftkino und modernem Orgelspiel.

 Gespannt verfolgen die Zuschauer vor der Himmeroder Klosterkirche den Stummfilm „Ben Hur“, der mit Orgelimprovisationen von Otto M. Krämer musikalisch unterlegt wurde. TV-Foto: Gary Retterbush

Gespannt verfolgen die Zuschauer vor der Himmeroder Klosterkirche den Stummfilm „Ben Hur“, der mit Orgelimprovisationen von Otto M. Krämer musikalisch unterlegt wurde. TV-Foto: Gary Retterbush

Himmerod. Nur ein einziges Mal setzt Otto M. Krämer sein Spiel auf der Klais-Orgel aus. Kein Ton dringt auf den Vorplatz der Himmeroder Abteikirche, als der zur Schlacht entschlossene Ben Hur dem Wort Jesu folgt und sein Schwert in den Staub der Straße fallen lässt. Und die Stille wirkt. Sie unterstreicht eine Szene, die das Gegenteil von dem ist, für das "Ben Hur" seinen Platz in der Filmgeschichte hat. In all ihrer Ruhe und Unaufgeregtheit tritt die zentrale Botschaft des Werks hervor: Macht eure Schwerter zu Pflugscharen!Wenige Augenblicke später steht Otto M. Krämer auf den Stufen der Barockkirche und nimmt den Applaus der etwa 70 Besucher entgegen, die zur "Zisterziensernacht" nach Himmerod gekommen sind. Einige packen gerade erst ihre Wolldecken zusammen, in die sie für knapp drei Stunden fest eingewickelt waren. Andere blasen jetzt ihre Teelichtchen aus, mit denen sie sich ihre Hände zu wärmen versuchten. Auf der links des Kirchenportals aufgestellten Leinwand ist der Abspann des aus dem Jahr 1925 stammenden Stummfilms "Ben Hur" inzwischen ausgeblendet. "Ich habe gar nicht gewusst, dass es diesen Film überhaupt gibt", sagt ein Zuschauer. Er habe den Monumentalschinken von 1959 - "den, der jedes Jahr zu Ostern kommt" - immer für die einzige Verfilmung des Romans von Lewis Wallace gehalten. Doch ganz ähnlich wie zu seiner Zeit das Werk mit Charlton Heston, setzte schon Mitte der 20er Jahre Fred Niblos Version Maßstäbe, die in Himmerod gezeigt wird. Bis dato kannte das Kino keinen aufwendiger produzierten und teureren Film. Keinen mit mehr Statisten, Massenszenen und Publikumserfolg. Oder gar mit Farbsequenzen. Niblo setzt die technische Neuerung der Farbgebung gezielt ein, um die Erhabenheit einzelner Bilder und Momente hervorzuheben. So bei der beeindruckenden Großaufnahme vom geneigten Haupt der Jungfrau Maria und dem Moment der Geburt Christi. Otto M. Krämer verfolgt den Film auf einem kleinen Bildschirm über dem Spieltisch der Orgel. Ohne ein Blatt vor sich zu haben, begleitet er die zum Teil in rascher moderner Schnittfolge wechselnden Szenen. Dieses Improvisieren ist erlernbar und gehört zur Standardausbildung an der Orgel. Krämer selbst gibt Seminare in diesem Fach. "Ich versuche, die Art und Weise der Stimmung so authentisch wie möglich rüberzubringen", sagt er vor dem Konzert. In den kurzen Szenen, die zur biblischen Rahmenhandlung gehören, lehnt Krämer sein begleitendes Spiel an klassische kirchliche Orgelmusik an. Hierbei schafft er es, einen Eindruck von den enormen liturgischen Klangqualitäten der Himmeroder Orgel zu vermitteln. Der Haupterzählstrang des Films - die Fehde zwischen dem jüdischen Prinzen Judah Ben Hur und dem römischen Besatzungsoffizier Messala - gibt Krämer aber vor allem reichlich Gelegenheit, um seinen Zuhörern die ganze konzertante Kraft der Klais-Orgel vorzuführen. Schon in seiner kurzen Vorrede hatte er von einer "Mission" gesprochen: "Ich möchte die Kirchenorgel in einer völlig anderen Art präsentieren." Ob heiter-verspielt bei neckischen Flirts oder erhaben-feierlich bei der Begrüßungsparade zu Ehren des römischen Statthalters in Jerusalem - stets setzt Krämer die Stimmung des Films in einen Klang um, der die Botschaft der Bilder unterstreicht. Wenn auf der Leinwand die römischen Wachsoldaten ihre Fanfaren blasen, lässt Krämer die im Zuge der Orgelrestaurierung neu eingesetzte Trompete im Oberwerk erschallen. Bemerkenswert ist sein Spiel zu der im Film monumental inszenierten Seeschlacht zwischen einer römischen Galeere und einem Piratenschiff. Anstatt die Brutalität des Kampfes musikalisch zu verklären, spielt Krämer eindringlich die Grausamkeit dieser Szenen heraus. Und deutet noch einmal die Botschaft des Films, so wie er sie verstanden wissen will: "Die Waffen müssen weg."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort