Eine Vermutung wird wahr

GROSSLITTGEN. Menschen, die sich um Menschen kümmern: Spannend waren die Lebensgeschichten der Gäste im Biblischen Nachtcafé von Bruder Stephan Raimund Senge auch in seiner sechsten Auflage.

 Die Weggemeinschaft Vulkaneifel vermeidet die Vokabel "geistig behindert" und nennt jene, um die sich die Mitarbeiter kümmern, liebevoll "seelenpflegebedürftig". Anne Weber und Rainer Dämgen (rechts) stellten im Biblischen Nachtcafé von Bruder Stephan die Konzeption vor. TV-Foto: Petra Geisbüsch

Die Weggemeinschaft Vulkaneifel vermeidet die Vokabel "geistig behindert" und nennt jene, um die sich die Mitarbeiter kümmern, liebevoll "seelenpflegebedürftig". Anne Weber und Rainer Dämgen (rechts) stellten im Biblischen Nachtcafé von Bruder Stephan die Konzeption vor. TV-Foto: Petra Geisbüsch

"Aus einer Vermutung wird eine Einrichtung", begrüßte Bruder Stephan seine rund 150 Gäste im Refektorium seiner Abtei. Immer mehr öffentlichen Zuspruch findet diese anfangs recht intime Runde, in die der Mönch Frauen und Männer aus der Nähe eine Plattform gibt, ihr spezielles Engagement bekannter zu machen. Diese Chance nutzten diesmal zwei Männer aus Wittlich: Kolping-Vorkämpfer Franz-Josef Mertes und der ehemalige Leiter des Bernkasteler Gymnasiums Karl-Heinz Musseleck treffen sich regelmäßig bei kirchlichen Festen - unter anderem in der Fronleichnamsprozession, wo Mertes als jugendlicher Ordner den Einstieg in die Kolpingfamilie fand. Die prägt sein Leben bis heute, im Widerspruchsausschuss der örtlichen Krankenkassen, auf Tagungen im In- und Ausland, demnächst in Ungarn, im Arbeitskreis Gesellschaft und Soziales des Katholikentages. Sein Rat für die deutsche Gesellschaft: Besser, man gibt Lohn und Arbeit den jungen Leuten als denen jenseits der 65. Von Ladenöffnungszeiten bis 22 Uhr hält er nichts. "Damit ist keinerlei Familienleben mehr möglich." Selten genug ist die musikalische parallel zur sportlichen Ambitioniertheit von Karl-Heinz Musseleck. Irgendwie bekam er immer alles unter einen Hut: eine Frau, zwei Söhne und eine Tochter, Unterstützung für Flüchtlinge, Pfarrgemeinderat, Emil-Frank-Institut, die Kirchenmusik und den Vorsitz im Sportverein. In Himmerod spannte Musseleck den Bogen zurück ins schulische Leben. "Schule hat die Aufgabe, Sachen zu klären und Menschen zu stärken." Letzteres bleibe nach Pisa zunehmend auf der Strecke. Trotz aller disziplinarischen Schwierigkeiten lautet das Fazit des Mannes aus der Praxis: "Die Kinder von heute sind eigentlich zutiefst in Ordnung." "Auch im Chaos schützen sie ihre Kinder"

Elke Boné-Leis vom Trierer Kinderschutzbund greift da ein, wo die Kinder nicht in Ordnung sein können, weil ihr Umfeld es nicht ist: Verwahrlosung, Gewalt, sexueller Missbrauch, Süchte und Überforderung der Eltern bilden die Wirklichkeit des Lebens von mehr Heranwachsenden, als es die Gesellschaft wahrnehmen möchte. 200 Hilfesuchende wandten sich im vergangenen Jahr an ihre Fachstelle "Kinderschutzdienst". Dabei verurteilt Boné-Leis nicht die Eltern, weil sie das hoffnungslose Leben, das sie führen, 20 Jahre zuvor genau so selbst gezeigt bekamen. Trotz des Grusels, der ihre Zuhörer angesichts ihrer Schilderungen befiel, verabschiedete sich auch Elke Boné-Leis hoffnungsvoll. Selbst, wenn die wenigen, die sie aus solchen Zusammenhängen retten kann, später ein völlig chaotisches Leben leben: "Eines tun sie auf jeden Fall: Sie schützen ihre eigenen Kinder." Um "seelenpflegebedürftige Erwachsene" kümmern sich Anne Weber und Rainer Dämgen in der anthroposophischen Weggemeinschaft Darscheid. Sie nennen die Menschen in ihren familiär strukturierten Lebensverhältnissen bewusst nicht "geistig Behinderte". Einrichtungsleiter Dämgen: "Man kann den Blick auf das Gewordene richten oder aber auf das Werdende." Sieben Leute arbeiten täglich in der Textilwerkstatt mit Anne Weber. Große Freude hatte dort kürzlich der von einer Gönnerin geschenkte Webstuhl ausgelöst. In Nairobi hatte Bruder Stephan den Saarburger Chirurgen Rolf Theis getroffen. Er habe immer wieder erlebt, dass der Arzt sich sorge, aber die Natur heile, erzählte er. Theis sitzt im Komitee der 25 Mediziner, die offiziell alle unerklärlichen Heilungen bearbeiten: Ein schwieriges Unterfangen, denn nicht in allen Gegenden, aus der kranke Pilger anreisen, werden Dokumentationen nach wissenschaftlich anerkannten Maßstäben erstellt. Schließlich entscheidet der Bischof der Heimatdiözese des Geheilten darüber, ob von einem Wunder gesprochen werden darf oder nicht. Insgesamt 66 Fälle gelten inzwischen als Wunder.

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