Gekonnter Spagat

WITTLICH. Sie haben gewaltigen Schlagworten Fleisch und Blut gegeben: Das Theaterstück "Schöne eine Welt" von der Berliner Compagnie erhellte den Zuschauern politische und wirtschaftliche Zusammenhänge, ohne mit dem erhobenen Zeigefinger daher zu kommen.

Politisches Theater ist selten geworden. Gutes politisches Theater scheint völlig ausgestorben zu sein. Dass ein Stück trotz einer Botschaft, neudeutsch "Message", dennoch hochklassiges Theater sein kann, zeigte die Berliner Compagnie im Atrium des Wittlicher Cusanus-Gymnasiums. Große Ziele haben sich die Mitglieder des Ensembles gesetzt. In einer Zeit, die mit Werbeslogans von "Geiz ist geil" bis "Billig will ich" um sich wirft, setzen sie einfache Wahrheiten dagegen, die jeder kennt und die dennoch die meisten lieber verdrängen: Zu sehr scheint sonst die Verantwortung für Elend, Mord und Krieg auf dem eigenen Portemonnaie und der eigenen Seele zu lasten. Seit dem Gründungsjahr 1982 entstanden Stücke zu den heiklen Themen Asyl, Frieden, Dritte Welt, zu Menschenrechten und Armut.Die Mächtigen: Breitbeinig und ohne Zweifel

Im aktuellen Stück schließt eine Textilfabrik während eines Streikes der hoffnungslos unterbezahlten Näherinnen ihre Pforten in einem asiatischen Land und zieht ins - noch billigere - Bulgarien. Von der ersten Szene an lassen Fabrikbesitzer Klon und Produktionsleiter Zoff, hervorragend gespielt von Gerhard Fries und Dietmar Bauschke, keinen Zweifel daran aufkommen, wer am längeren Hebel sitzt: Feist, breitbeinig und ohne den geringsten Zweifel am eigenen Schalten und Walten scheuen sie selbst vor dem Einsatz des Militärs nicht zurück. Die "Rädelsführerin" Arsinah, drei Tage zuvor durch Folter gestorben, wird von ihrer längst eingeschüchterten Schwester Etnah (Elke Schuster) auf dem Fabrikgelände gesucht. Dort wird gerade alles geschäftig verpackt für die Flucht am nächsten Morgen, während die streikenden Arbeiterinnen vor den Toren einschließlich der gerade auf Urlaub in Asien weilenden Freundin von Klon mit Lügen hingehalten werden - jedem servieren die beiden geldgierigen Kerle die Lüge, die ihnen persönlich am nützlichsten ist. Die im Stück ausgesprochenen, manchmal schreiend ausgespuckten großen Wahrheiten kennt ein jeder. "Man müsste in Waffen machen - dann sorgt Vater Staat für einen", verkündet beispielsweise Zoff. Oder Klon: "Die Armen wollen nicht den Kapitalismus abschaffen - die wollen arbeiten!" Und, vielleicht die grausamste Erkenntnis: "Wenn hinter uns nicht die Männer mit den Gewehren stünden, glaubst du, bei euch gäbe es einen Winterschlussverkauf?" Interessante Variante am Ende: Klon macht seiner Freundin Gritt einen Heiratsantrag. Die allerdings hat sich längst mit ihren leidenden Geschlechtsgenossinnen solidarisiert und bleibt im Land - auch ohne die zehn Nähmaschinen, die sie von Klon für eine zukünftige Kooperative erbittet und die er ihr verweigert. Er bleibt konsequent. Er und nur er darf aus seinem Kapital herauspressen, was immer es hergibt: Jeweils in dem Land, das im internationalen Konkurrenzkampf mit den billigsten Investitionskosten lockt. Etnah hingegen, krank von den giftigen Dämpfen und gebrochen von den unmenschlichen Arbeitsbedingungen in Asien, käme sogar als Zoffs Ehefrau mit nach Bulgarien. Und das, obwohl sie die blutbesudelten Tücher, mit denen Zoff versucht hat, den Mord an ihrer Schwester zu vertuschen, inzwischen auf dem Fabrikgelände entdeckt hat. Trotz des politischen Themas kamen auch Kenner des Theaters auf ihre Kosten. Immerhin stehen in der Berliner Compagnie ausgebildete Schauspieler auf der Bühne. Die spartanisch eingesetzten Licht- und Toneffekte und das konsequent ebenfalls sehr einfach bestückte Bühnenbild gaben dem schweren Inhalt eine würdige Plattform. Das Berliner Ensemble schaffte die Spagat zwischen politischer Botschaft und dem Vergnügen des Zuschauers an brillantem schauspielerischen Können.

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