"Ich hab' da auch noch 'ne Idee"

Wittlich. (gkl) Bisher war die Wittlicher Synagoge für die Mosel Festwochen ein gewissermaßen unbekanntes Terrain. In dieser Spielzeit wird das Festival gleich zweimal in dem akustisch so einzigartigen Raum zu Gast sein. Die neuen Strukturen machen es möglich.

Welch wundervolle, geradezu intime klangliche Möglichkeiten sich hier für die Festspiele eröffnen, zeigte sich mit dem Cross-Over-Konzert "Zwischen Bach und Blues", einem Abend mit dem Cellisten Ulrich Thiem, Frank Bartsch (Trompete und Flügelhorn) und Andreas Böttcher am Klavier und Vibraphon. Die Musiker selbst bezeichnen das Genre ihre Konzerte als KammerJazzmusik. Da Wittlich über eine recht lebendige Jazzszene verfügt, hätte man also von einem sehr regen Zuspruch zu diesem Abend ausgehen können. Es klang deshalb schon ein wenig selbstironisch, als Intendant Hermann Lewen die eher bescheidene Anzahl von Besuchern als ein "auserlesenes Publikum" begrüßte und von Klasse statt Masse sprach. Das tat aber der berechtigten Begeisterung, mit der das Trio nach über zwei Stunden Konzert verabschiedet wurde, keinen Abbruch. Dabei war das von dieser äußerst heterogenen und in unseren Breiten weitgehend unbekannten Formation nicht unbedingt zu erwarten. Ein klassischer Cellist, ein Jazzpianist und ein studierter Maschinenbauer, dessen musikalische Ambitionen "nicht sein Beruf, aber seine Berufung" sind, wie Thiem seinen Kollegen charakterisierte. Lewen entdeckte das Trio in ihrer Heimat, der Dresdener Neustadt. Was Lewen da von der Elbe an die Lieser engagierte, waren zunächst einmal Musiker, denen man auf ihren Instrumenten nicht mehr viel vormachen kann, die sich mit ihren freien Improvisationen auf dem weiten Feld, das der Konzerttitel absteckte, absolut sicher bewegten. Spätestens als sie sich anschickten, auf der Basis des Liedes "All meine Gedanken" jeweils eine Soloimprovisation zu spielen, wurde aber klar, dass es sich hier nicht nur um ein eingespieltes Team handelt, sondern auch um drei individuelle Freigeister. Böttcher erinnerte fast an eine Choralfantasie von Max Reger, Bartsch, der sich auf einer der Emporen hierzu postiert hatte, spielte auf seinem Flügelhorn und seiner gestopften Trompete fast so etwas wie ein Echo mit sich selbst, und Thiem schließlich ließ von der Garderobe aus durch die geöffneten Türen beinahe Spährenklänge in den Synagogenraum strömen. Immer wieder gab es Anklänge an den Thomaskantor, sei es durch Ausflüge in die Cellosuiten oder durch sein Choralvorspiel "Jesu bleibet meine Freude". Zentral aber standen die Improvisationen, in denen sich das Trio in faszinierender Art die Bälle zuspielte, einer des anderen Themen aufnahm, weiterverarbeitete, ihnen neue Wendungen gab, die immer neue Farben, neue Facetten freilegten. Dabei nutzten sie alle klanglichen Möglichkeiten ihrer Instrumente aus, ob nun die gestrichenen Platten des Vibraphons oder die Flageolettöne des fünfsaitigen Cellos. Vergnügen bereitete es auch, das Trio zu beobachten. Manchmal hatte man den Eindruck, wenn sich eine Improvisation dem Ende neigte, als wolle ein Musiker dem anderen signalisieren: "Moment, ich hab' da auch noch 'ne Idee". Ein faszinierender Abend, der sich lohnte.

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