Instrumente verstummten

BERNKASTEL-WITTLICH. Etwa die Hälfte aller heutigen Musikvereine wurde zwischen 1919 und 1933 gegründet. Die Notjahre der Weimarer Republik waren ein fruchtbares Pflaster für die heimischen Blaskapellen. Während des Dritten Reiches erlahmten die Vereinsaktivitäten.

Nach den überstandenen Kriegswirren müsste man annehmen, dass die Bevölkerung andere Sorgen hatte, als an den Wiederaufbau oder gar an die Gründung neuer Musikvereine zu denken. Doch trotz ihrer wirtschaftlich und politisch keineswegs rosigen Lage wurden zwischen 1919 und 1933 nicht nur viele der bereits bestehenden Kapellen zu neuen Aktivitäten erweckt, sondern darüber hinaus mehr als ein Drittel aller heutigen Musikvereine überhaupt erst gegründet.

Neue Musikvereine entstanden ab 1919. Im ersten Jahr nach Kriegsende wurde beispielsweise der Musikverein Plein gegründet. 1921 wurden die Musikvereine Irmenach-Beuren und Laufeld sowie das Blasorchester Wittlich ins Leben gerufen, 1922 der Musikverein Salmrohr und 1923 die Kapelle aus Thalfang. 1924 entstanden die Musikvereine Eisenschmitt und Dörbach sowie die Kapelle aus Kinheim (1924/25). In Bettenfeld, Bischofsdhron, Kröv und Dreis erfolgte die Vereinsgründung 1925. Die Musikvereine Minderlittgen, Graach, Hochscheid, Monzelfeld, Wengerohr und Zeltingen-Rachtig entstanden 1926, die Musikvereine Hetzerath, Manderscheid, Bombogen, Ürzig, Osann und Piesport im Jahr darauf.

Hoffnungsfrohes Musikschaffen

1928 nahmen sieben Kapellen ihre Tätigkeit auf: Lösnich, Malborn, Meerfeld, Niederöfflingen, Wittlich-Neuerburg, Reil und Wolf. 1929 folgten Binsfeld, Longkamp und Sehlem-Esch, 1932 Lötzbeuren. Das Jahr 1933 bildete das vorläufige Ende in der Reihe der Neugründungen mit dem MV Morscheid.

Das Jahr 1933 war aber auch der politisch bedingte Abschluss einer mehr als ein Jahrzehnt währenden Periode hoffnungsfrohen Musikschaffens: In der Zeit zwischen den Weltkriegen wurden gut 45 bis 50, also etwa die Hälfte aller heute bestehenden Musikvereine, gegründet.

Eine erstaunlich hohe Zahl. Nach Aussage von Vereinsgründern, damals vielerorts im Jugendalter, waren die 20er Jahre eine Zeit, in der man sich wenig um die Jugend kümmerte. Es war die Zeit, in der Eigeninitiative gefordert war, in der aber auch die Jugend zusammenhielt. Sie war musikfreudig und vor allen Dingen begeisterungsfähig. Alles Gründe, die die Entstehung von Blaskapellen mit bewirkten. Natürlich war in den einzelnen Orten auch der Ehrgeiz spürbar, sich kulturell hervorzuheben.

Musik ließ die Herzen höher schlagen

Außerdem war man bestrebt, weltliche und kirchliche Veranstaltungen feierlicher zu gestalten. Vielleicht war dies die Fortsetzung und Verfeinerung der im Jahrhundert zuvor erstmals zur Entfaltung gekommenen bürgerlichen Aktivitäten. So verwundert es nicht, dass die neuen kulturellen Akzente und damit die Interpreten, sprich die dörflichen Blaskapellen, von der Bevölkerung begeistert unterstützt wurden. Außerdem gab es noch kein Radio, so dass Musik immer noch selten war und die Herzen der Menschen höher schlagen ließ, auch wenn die Qualität des Dargebotenen nicht vollends ausgeprägt war.

Ab 1933 bestimmte Adolf Hitler Politik und Weltgeschehen. Seine Politik griff in bisher nie gekannter Form in den privaten und gesellschaftlichen Bereich ein. Alle Vereinigungen mussten, wollten sie bestehen, zwangsweise die nationalsozialistische Ideologie zumindest äußerlich übernehmen. Die Musikvereine wurden hiervon nicht verschont. Die Folge: In den Jahren nach 1933 wurde nur ein einziger, heute noch bestehender Musikverein, 1937in Hottenbach (Kreis Birkenfeld) gegründet. In allen Orten hatten die Kapellen die nationalsozialistisch geprägten Propagandaumzüge und Veranstaltungen zu begleiten. Alles undankbare Aufgaben, die entweder zum Schein mitgetragen wurden, was viele Musiker zum Vereinsaustritt bewog. 1939 begann der Zweite Weltkrieg. Zum zweiten Mal setzte ein Krieg dem musikalischen Schaffen ein Ende. Die Musiker wurden nach und nach als Soldaten eingezogen. Anfangs spielten die noch Verbliebenen das Lied vom "Guten Kameraden" bei der Trauerfeier für einen gefallenen Mitbürger. Drei Jahre nach Kriegsbeginn waren in den meisten Orten die Instrumente verstummt.

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