Nur wenige überlebten

WITTLICH. (red) Über einen wenig bekannten Abschnitt der Geschichte Luxemburgs hat der Historiker Marc Schoentgen auf Einladung des Emil-Frank-Instituts in der ehemaligen Synagoge referiert. Sein Vortrag "Juden in Luxemburg" behandelte vor allem die Zeit des Nationalsozialismus 1933 bis1945.

Die Geschichte der Juden im Nachbarland Luxemburg ist noch nicht alt: Von "einigen Ausnahmen im Mittelalter" abgesehen, kann man erst nach der Französischen Revolution von einer Ansiedlung von Juden mit eigenem Gemeindeleben sprechen. 1823 wurde die erste Synagoge in der Hauptstadt eröffnet. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts ließen sich zunehmend Juden aus den Nachbarländern wegen der günstigen geographischen Lage und der dort geübten Toleranz gegenüber Andersgläubigen nieder. Diese Juden waren vor allem als Geschäftsleute oder Viehhändler tätig.Als Luxemburg zum Exil-Land wurde

So stieg die Zahl der Juden von 520 im Jahr 1843 auf über 2200 im Jahr 1930 an. Der Referent verwies mehrmals auf die guten Beziehungen zwischen Wittlicher und Luxemburger Juden: 1849 hatte beispielsweise David Dublon die aus dem südlichen Luxemburg stammende Charlotte Kahn geheiratet. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland wurde das politisch neutrale Luxemburg für viele zu einem Exil-Land. Bereits 1933 trafen erste Flüchtlinge ein: nicht nur Juden, sondern auch Sozialdemokraten und Künstler. Bis 1939 flohen mindestens 14 Juden aus Wittlich ins Luxemburger Exil, sechs von ihnen wanderten sofort weiter in die USA aus. Im August 1938 sperrte man wegen des starken Flüchtlingszustroms die Grenzen, was laut Schoentgen "zu einem wirklichen Flüchtlingsdrama führte". Nach jüngsten Schätzungen lebten bei Kriegsbeginn 4000 Juden in Luxemburg. Als am 10. Mai 1940 die deutsche Wehrmacht Luxemburg besetzte, begann auch für die in Luxemburg lebenden oder dorthin geflohenen Juden ein Leidensweg. Zu den ersten judenfeindlichen Aktionen im September 1940 gehörte die Verordnung über das jüdische Vermögen. Sie leitete die systematische Ausplünderung der Juden ein. Schon wenige Wochen nach der Besatzung waren jüdische Gotteshäuser Ziel von Anschlägen; die Synagogen der Städte Luxembourg und Esch wurden auf Befehl der von den Nationalsozialisten eingesetzten Zivilverwaltung zerstört. "Innerhalb nur weniger Wochen haben die NS-Machthaber nachgeholt, wozu man in Deutschland sieben Jahre gebraucht hatte", so fasste der Historiker diese antisemitischen Terrormaßnahmen zusammen. Ab Mai 1940 wurden viele Juden zur Ausreise nach Frankreich gezwungen. Am 15. Oktober wurden die Grenzen nach Frankreich jedoch plötzlich geschlossen: Die verbleibenden Juden Luxemburgs wurden auf Befehl des Leiters der Zivilverwaltung, Gauleiter Gustav Simon, auf insgesamt sieben Deportationszügen in die Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Eine besondere Rolle spielte das "Kloster Fünfbrunnen", der einzige Internierungsort auf Luxemburger Gebiet. Als jüdisches Altersheim getarnt, war es in Wirklichkeit eine Art Deportationshaus, in dem sich über 300 meist ältere Juden unter katastrophalen Lebensumständen sammeln mussten: ganz auf sich selbst gestellt und des Lebensnotwendigen beraubt. Von 679 deportierten Juden (220 stammten aus Fünfbrunnen) überlebten nur 41 die Lagerhaft. Zwar zeigte sich die Luxemburger Bevölkerung relativ "resistent gegen antijüdische Propaganda der Nazis", sagte Marc Schoentgen; auch zur Besatzungszeit "verkehrten Juden mit Nichtjuden weiterhin auf offener Straße." Insgesamt gesehen bleibe aber ein zwiespältiger Eindruck zurück, so resümierte der Referent: "Auf der einen Seite sind zahlreiche spontane Solidaritätsaktionen und organisierte Hilfeleistungen zu verzeichnen, auf der anderen Seite aber auch Wegschauen und Schweigen."

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