Ritterspornblau auf Tabaktüten

WITTLICH. Der Chef der Wittlicher Tabakfabrik Neuerburg hatte eine private Passion: Das Malen und Zeichnen von Stadtansichten. 1986 würdigte eine Ausstellung sein Werk, das nun fast vergessen ist. Seine Nichte Elisabeth Becker-Neuerburg hält die Erinnerung wach.

Sie sind menschenleer, miniaturhaft, auf klare Formen und Farbflächen reduziert - die Stadtansichten, die Stefan Neuerburg geschaffen hat. Gebäude werden zu einer Struktur aus Würfeln und Rechtecken, allein die charakteristisch geschwungene Form des Turms von St. Markus, die er oft gemalt hat, rundet mit fast symbolischer Kraft die Gefüge ab. Ungewöhnliche Bildschnitte zeugen von einem Blick mit hohem Abstraktionsvermögen. "Das ist doch Kubismus, was sonst?", stellt Elisabeth Becker-Neuerburg fest. Die handflächenkleinen Arbeiten ihres Onkels hat sie in ihrer "Privatgalerie" Seite an Seite aufgehangen. Schon lange lebt sie mit den Bildern und sagt: "Die haben mir immer gefallen. Ich hatte Freude dran, allein der Farben wegen. Ich bin doch Floristin. Das leuchtet ja, was er gemalt hat." Sie zeigt auf eine blaue Dach-Raute: "Ich liebe ja dieses Blau. Wie beim Rittersporn. Ich selbst hatte 40 Rittersporn-Sorten im Garten." Jetzt findet sie die Blautöne auf Stefan Neuerburgs Bildern wieder. Sein Büro war auch sein Atelier

Ihr 1975 verstorbener Onkel kam früher jeden Sonntag auf Besuch in ihr Elternhaus. Als Person eher als problematisch und pessimistisch beschrieben, hat er seine kreative Begabung immer als reines Hobby gesehen. Ob er sich über die Ausstellung 1986 gefreut hätte? "Ich weiß es nicht", sagt Elisabeth Becker-Neuerburg: "Er hat die Bilder auch nicht signiert, und zuhause hatte er, wenn ich mich recht erinnere, selber keine Bilder." Sie verweist auf eine Familien-Chronik. Darin erinnert sich die Wittlicherin Ruth van Husen: "Onkel Stefan war der Maler, Schnitzer und Bastler unter den sechs Geschwistern Neuerburg-Röhrig. Aquarelle, Zeichnungen, Schnitzarbeiten, Linolschnitte geben davon Zeugnis. Als junger Mann spielte er ausgezeichnet Violine aufgrund seiner wohl angeborenen Musikalität." Laut Elisabeth Becker-Neuerburg wollte er ursprünglich Architekt werden. Ein Indiz für seinen offenbar klaren Blick für Formen und sein großes Interesse an der Bebauung der Stadt als Bildmotiv. Allerdings musste er dann die elterliche Tabakfabrik übernehmen. Sein Büro diente ihm dann als Atelier. In einem Text zu der Ausstellung von vor 20 Jahren heißt es: "Um seine teils spontanen Einfälle festzuhalten, benutzte er Tabaktüten und sogar Einwickelpapier." "Der hat doch was gekonnt", sagt Elisabeth Becker-Neuerburg. Ihr lag schon immer die Heimatgeschichte am Herzen, was sie in unzähligen Artikeln für das Kreisjahrbuch bewiesen hat. Die Geschichte über ihren malenden Onkel hat übrigens Wittlichs Ehernbürger Willi Schrot dem TV empfohlen. Sie passt zu einem Resümee, das Elisabeth Becker-Neuerburg in einem ihrer Kreisjahrbuchartikel vor zehn Jahren zog: "Leider haben unsere Vorfahren ihr Wissen um die Zusammenhänge damals nicht weiter gegeben. Sie konnten nicht ahnen, dass ihre Enkel sich später einmal dafür interessieren."

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