ERFAHRUNGSBERICHT

"Da hatte ich mich nach mindestens zehn Jahren mal wieder zum Heilfasten entschlossen. Wobei ich dafür, entgegen dem allgemeinen Trend, nicht einmal religiöse Motive ins Feld führen kann. Nein, in meinem speziellen Fall ging es um ganz profane Gründe. Erstens sprenge ich allmählich den Rahmen einer Personenwaage, und zweitens ist mein innerer Schweinehund in den vergangene Jahren der Völlerei erlegen. Also musste ich ihm mal wieder eine handfeste Niederlage bescheren.

Am ersten Tag war alles einfach. Ich führte nach allen Regeln der Kunst mit Glaubersalz ab und genoss mein fast in Vergessenheit geratenes Hungergefühl. Am Morgen Nummer zwei, einem sonnenüberfluteten Sonntag, stürzte ich mich in die Fluten des Vitelliusbades und schwamm ein paar hundert Meter. Dann fleißig an die Arbeit und den Hunger schnell vergessen. Schwierig nur: Natürlich hungerte meine im Wachstum begriffene Tochter nicht mit mir, und so verlangte sie Frühstück, Mittag- und Abendessen. Genauso wie an den fünf langen Tagen, die noch folgen sollten. Waffel- und Bratenduft in der ganzen Wohnung, Aufschnitt und Erdbeermarmelade, frische Brötchen vom Bäcker... Ich konnte gar nicht hinsehen! Selbst die Krümel, die da auf dem Teller liegen blieben, reizten meinen armen, knurrenden Magen aufs Äußerste. Da war er wieder, dieser Schweinehund. Also brav jeden Morgen ins Schwimmbad, täglich hundert Meter mehr in die Wellen gehauen, und mittags meine heiße Brühe aus einem salzarmen, vegetarischen Brühwürfel geschlürft. Köstlich, die wenigen Fettaugen oben drauf. So ganz allmählich wurde der Geist immer williger und das Fleisch immer schwächer. Besorgte, bewundernde, belustige, auch sadistische Nachfragen von den Kollegen und Nachbarn: "Na, wann gehen wir denn ein Eis essen?" Oder, noch eine Spur gemeiner: "Passen dir denn wenigstens deine Hosen wieder?" Und da war es wieder, das Argument, das mich bei der Stange hielt: Ich wollte wieder rein in eine ganz bestimmte Hose. Endlich, der letzte Tag. Ich zählte die Stunden, die halben, und schließlich auch die viertel Stunden bis zum Ende meiner freiwilligen Geißelung. Am letzten Abend, ich muss es zur meiner Schande gestehen, traute ich dem Frieden selbst nicht mehr und startete einen Anruf in Richtung Freund: "Kannst du bitte rüber kommen, ohne Aufpasser überstehe ich die letzten Stunden nicht." Er kam, und damit war auch der letzte Abend gerettet. Lächelnd prosteten wir uns zu, er mit Rotwein, ich mit Sauerkrautsaft, und die Woche war endlich voll. Den Schweinehund habe ich in seine Schranken verwiesen, die Hose passt wieder. Schön, so eine Fastenzeit!"(peg)

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