Erkenntnis durch Vertrauen

Eine häufig in Schulbüchern zu lesende groteske Geschichte erzählt von einem Mann, der Atem und damit Kraft sparen wollte. So beschloss er, nicht mehr zu sprechen, sondern die Dinge, von denen er reden wollte, immer gleich mitzunehmen und vorzuzeigen.

Natürlich geht uns sofort auf, dass der Mann scheitern musste. Wenn wir von irgendwelchen Dingen sprechen, haben wir es nie mit den Gegenständen selbst zu tun, sondern immer nur mit Worten, und nie ist ganz sicher, ob zwei Gesprächspartner mit einem Wort auch dieselbe Vorstellung verbinden. Bei "Stuhl" und "Tisch", "Messer" und "Gabel" scheint das kein Problem zu sein. Aber schon hier scheint es nur so; wie anders klingt zum Beispiel "Wasser" für einen Wüstenbewohner als für uns. Bei "Freiheit", "Gerechtigkeit", "Glück" ist es noch viel schwieriger. Wenn zwei Menschen zueinander sagen: "Ich liebe dich", braucht es - auch wenn sie ganz ehrlich sind - eine Menge Vertrauen, dass beide dasselbe meinen. Ein solcher Satz beschreibt nicht nur etwas, sondern er schafft eine neue Wirklichkeit, eine Beziehung zwischen Menschen und eine Verpflichtung. Wie steht es erst mit Worten wie "Gott", "Himmel", "ewiges Leben"? Sie benennen "etwas", das grundsätzlich über das, was wir denken und sagen können, hinaus geht. Wir haben kein Wort, um so "etwas" wirklich zu beschreiben. Wie auch immer schon ein bisschen im Alltag sind wir hier endgültig auf Bilder und Symbole angewiesen. Eigentlich müssten wir jedes Wort in Anführungszeichen setzen. Glaubensbekenntnisse oder dogmatische Definitionen helfen dabei nur sehr begrenzt weiter. Nur in einem nie endenden, offenen und vorurteilslosen Gespräch zwischen Menschen, Konfessionen und Religionen werden wir der Bedeutung dieser Worte ein wenig näher kommen können. Und die wichtigste Voraussetzung, um ein wenig mehr zu verstehen: So wie bei der Liebe kann man sich auch dem Begreifen Gottes nur annähern, wenn man sich auf ihn und die Beziehung zu ihm einlässt. Dies ist auch die eigentliche Bedeutung des Wortes "glauben". Dr. Karl-Heinz Musseleck

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