Lasst die Stimmen hell erklingen

In der Toskana gibt es einen Winzer, der seine Weinberge mit Musik beschallt. Der Mann, ein pensionierter Anwalt aus Mailand, spielt seinen Reben Mozart, Haydn, Beethoven, Brahms und Wagner vor. Den Trauben soll's bekommen, behauptet jedenfalls der pfiffige Gutsbesitzer.

Sie würden früher reif, der daraus gewonnene Wein sei besser als zuvor. Und das ist noch nicht alles: Auch Krankheiten und Schädlinge blieben fort, bekräftigt der Winzer. Dass Wildschweine und Vögel beim Erklingen von Wagners Walkürenritt aus einer 1000-Watt-Stereoanlage die Lust am Traubennaschen vergehen, kann ich noch nachvollziehen. Dass die Töne aber auch die Rote Spinne, den Heuwurm und den meiner Kenntnis nach gehör- und gehirnlosen Schlauchpilz Botrytis in Schach halten sollen, will mir nicht in den Sinn gehen. Aber: Wie wäre es mit einem praktischen Versuch? Dabei wäre nicht einmal eine teure Stereoanlage mit Verstärker, Equalizer, CD-Player und Subwoofern nötig. Vielmehr könnten die vielen Männerchöre, die es in fast jedem Moselort noch gibt, diesen Part übernehmen. Der Gefangenenchor Traben-Trarbach stellt sich in die Lage Würzgarten, stimmt "O Mosella" an und schon entfällt das lästige Spritzen im Weinberg. Die Sänger des "Chorgesangs Cäcilia Rachtig" postieren sich ins Zeltinger Himmelreich, besingen die Reben im Frühjahr und Sommer mit dem Weinliedklassiker "Schütt die Sorgen in ein Gläschen Wein" und sorgen so für Spät- und Auslesen in Hülle und Fülle. Das Ergebnis der so mit harmonischen Klängen verwöhnten Trauben kann dann im Herbst begutachtet werden. Und wenn die Wirkung auf den pflanzlichen Organismus dann doch mehr als spärlich ausfallen sollte - einen Effekt hätte das Konzert im Weinberg auf jeden Fall: Es bringt sicher viele, viele Zeilen in der Zeitung und zahlreiche Sendeminuten in Funk und Fernsehen. Der italienische Winzer kann das sicher bestätigen.

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