Zwei Arten zu leben

Unterwegs im Zug nach irgendwo. Ich sitze allein im Abteil. Schließlich hält der Zug in einem kleinen Bahnhof. Als er sich wieder in Bewegung setzt, kommt ein altes Ehepaar herein. Wortlos. Nur ein kurzes Nicken als Gruß.

Beide faltig, gebeugt von Alter und Lebenser fahrung. Die beiden nehmen Platz und schweigen. Die Zeit vergeht. Draußen flieht die Landschaft vorüber, dörfliche Gegend.Plötzlich durchfährt Leben die alte Frau. Der gebeugte Rücken richtet sich auf. Ihr faltiges Gesicht scheint sich zu straffen: Dann ihr Ausruf: "Guck mal da, Gänse!" Der Mann in gleicher Haltung gebeugt, starrt vor sich hin auf den Boden, bleibt un gerührt. Dann seine kurzen Worte: "Die kannste inne Pfanne tun und aufessen!" Und wieder Schweigen. Der Zug zieht weiter.Zwei Sätze nur eines alten Paares auf langer Fahrt. Zwei Welten, in denen sie zu leben scheinen. Verschiedener können sie kaum sein: Wie wach die Augen der Frau: Sie sieht, hat Sinn für Lebendiges: Ein paar Gänse rühren sie an. Erinnerungen? Kindheit? Lange nicht Gesehenes, verbunden mit Heimat, Natur, einfachem Dasein...? Wie anders der Mann: Er hat kein Auge für das, was an ihm vor überzieht. Das Leben der Natur scheint ihn nicht zu kümmern. Es rührt ihn nicht, er rührt sich nicht bei seinem einzigen Satz. Bloßer Nutzen kommt ihm in den Sinn: Aufessen, Ausnutzen, Verbrauch.Ist es nicht zu viel von dieser Haltung, die das Gesicht unserer Erde prägt? Die Umwelt - zum Genuss bestimmt? Die Erde - ein riesiger Apfel nur zum Hineinbeißen da, und Krieg, wenn es nicht reicht? Oder Leben wahrnehmen und pflegen?Wir haben unsere Freude am Dasein und sind mitverantwortlich für das, was aus unserer schönen Erde wird. Ein göttlicher Satz aus der Bibel geht mir durch den Sinn: "So habe ich euch nun vorgelegt Segen und Fluch, Leben und Tod. So wähle nun das Leben." Das Leben wählen: Es fängt mit dem Staunen an und der Freude daran. Möge es uns und unseren Kindern erhalten bleiben.

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