Das wandelnde Lexikon

WEDERATH. Er selbst sieht sich als wandelndes Lexikon. Doch vieles von dem, was in diesem "geschrieben" steht, hat Heinrich Stein, etliche Jahre Ortsvorsteher von Wederath, selbst erlebt.

Wenn der Wederather Heinrich Stein ins Erzählen kommt, hört sich das an wie ein Bericht aus längst vergangener Zeit. Dabei hat der 80-Jährige vieles davon selbst erlebt oder zumindest noch kennen gelernt. Dass die denkmalgeschützte Wederather Mühle, die er liebend gern Besuchern zeigt, noch als Molkerei fungierte, weiß er allerdings auch nur noch vom Erzählen. Denn die Ära der von einer Dampfturbine betriebenen genossenschaftlichen Molkerei endete bereits 1907 - nach gut zehn Jahren. Da es an Kühl- und Transportmöglichkeiten fehlte, war die Zeit offensichtlich noch nicht reif. Doch das Klappern der späteren Elektromühle, die 1947 ihren Dienst aufnahm, hat Stein noch umso deutlicher in den Ohren. Wohl deshalb setzte er sich später dafür ein, dass dieses Gebäude nicht abgerissen, sondern zu einem Museum wurde. Doch das Schicksal der Mühle ist nicht die einzige Geschichte, von der das "wandelnde Lexikon", wie er sich selbst gern bezeichnet, kurzweilig zu plaudern weiß. Der Mann, der von 1979 bis 1994 Wederaths Ortsvorsteher war, ging nämlich über Jahrzehnte einem etwas ausgefallenen Broterwerb nach. Drei Jahrzehnte lang war er in ganz Rheinland-Pfalz und im Saarland unterwegs, um Ginster zu schneiden und diesen en gros an die Pharma-Industrie zu verkaufen. Später kamen Rosskastanien hinzu, deren Aesculin als Aufheller von Textilfasern dient. Die Einnahmen sicherten ihm neben der Landwirtschaft seinen Lebensunterhalt, nachdem er als 20-Jähriger mit einem zertrümmerten Arm aus dem Krieg heimgekehrt war. Kurze Zeit später, in den 50er-Jahren, begannen die ersten Ausgrabungen beim heutigen Archäologiepark Belginum, der dem Ort plötzlich große Beachtung bescherte. "Ich hab das immer unterstützt, weil ich gesehen habe, da ist etwas Unwahrscheinliches", versichert Stein, der auch Führungen über das Gelände macht. Parallel dazu brachte er sich im Hunsrücker Holzmuseum ein und beschäftigte sich nebenbei im Ort mit "Grabungen". Er legte drei Brunnen an - an der Mühle, am Feuerwehrhaus und an der Schutzhütte: "Unser Quellwasser hab' ich nicht kaputt gehen lassen." Ab und an schreibt Stein, seit drei Jahren verwitwet und Vater dreier Kinder, Erinnerungen nieder. So hat er in der "Hott", den halbjährlich erscheinenden Hunsrücker Heften, "Eine gütige russische Frau" gewürdigt, die ihm auf dem Heimweg aus dem Krieg Milch ihrer einzigen Kuh gegeben hatte. Dieses Erlebnis hat wohl mit zu seiner Überzeugung beigetragen: "Jeder Krieg hat keine Rechtfertigung - weder religiös noch politisch." Doch der begeisterte Chorsänger, der seit mehr als 50 Jahren singt, hält auch Kurzweiliges fest - wie über den "Generationentrank" Viez. Sein jüngster Beitrag erzählt vom "Dorfschmied Paul". Jahrhunderte habe es diesen Beruf gegeben: "Und nach dem Krieg, da war es aus."

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