Handarbeit statt High-Tech

HAHN. 40 bis 50 Flüge am Tag, mehr als 2000 Mitarbeiter im Schichtdienst und mehrere tausend Passagiere: Auf dem Flughafen Frankfurt-Hahn im Hunsrück regieren Zahlen, Daten und Fakten den täglichen Ablauf.

Alle sind gestresst, genervt, in Eile. Gut gelaunte Menschen sind hier selten. Dabei hätte fast jeder einen Grund zur Freude: der kurz bevorstehende Urlaub, der Besuch bei der Familie, das Wiedersehen mit Freunden. Doch am Eincheck-Schalter am Flughafen Frankfurt-Hahn regiert nicht die Freude, sondern die Zeit. Auch für John MacInally. Der Ire lebt seit einigen Jahren an der Mosel und fliegt heute mit seiner Familie nach Kerry, um dort seine Eltern zu besuchen. Doch erst einmal müssen Nesthäkchen Thomas gefüttert und die Pässe am Schalter vorgelegt werden. Dort begrüßt sie Margit Dumont. "Hier läuft alles noch im Handbetrieb", sagt Dumont. Eine Liste, ein Kugelschreiber und vier Knöpfe, um das Gepäckband zu bedienen - mehr braucht sie nicht, um ihre Arbeit zu machen. Margit Dumont ist eine von 70 Schalter-Mitarbeitern, die auf dem Hahn Fluggäste abfertigt. Und das sind nicht wenige im Zeitalter der Billigflieger. "Zirka 300 bis 400 pro Tag und Mitarbeiter", sagt sie. "Meist vier Flüge pro Schicht." Auch ohne viel Elektronik und Technik - nur das Gepäckband läuft mechanisch, und ein Telefon haben die Schalter-Damen auch - spricht der ein oder andere Passagier von Fließband-Abfertigung. Denn Zeit ist auf dem Hahn Geld, oder besser: "Time is cash", denn Englisch ist beim "Check In" Amtssprache. Wer zu spät zum Schalter kommt, muss statt des Urlaubs die Rückreise antreten. "40 Minuten vor der geplanten Startzeit der Flugzeuge schließen wir die Schalter. Definitiv." Zu Kompromissen ist Margit Dumont dann nicht bereit. Ein Feuerzeug ist das Maximum

Kompromisse macht auch Andreas Vochtel nicht. Der Mitarbeiter der Flugsicherheit (Fis) durchsucht Passagiere und Handgepäck an der Kontrollschranke nach Nagelscheren, Feuerzeugen oder sonstigen "gefährlichen" Gegenständen. "Ein Feuerzeug pro Passagier im Handgepäck ist erlaubt, das zweite bleibt hier", sagt er. Kein Platz für Sammler. Waffen oder spitze Gegenstände müssen auch am Flughafen bleiben. Und manchmal auch Passagiere. Einen zog Vochtel im vergangenen Jahr aus dem Verkehr. "Der hatte ein Messer im Schuh, direkt unter der Sohle." Für ihn ging es statt nach Santander direkt aufs Polizeirevier. Die MacInallys sind ohne Beanstandungen durch die Passagierkontrolle gekommen. Das Geschenk aus der deutschen Heimat für Johns Eltern haben sie sicherheitshalber im Koffer verstaut. Kein Grund zur Panik also. Statt in Eile wie noch am Eincheck-Schalter sitzen die vier nun gelangweilt im Abflugbereich auf den unbequemen Sitzen vor dem Gate. Zeit haben sie jetzt mehr als genug. Anders als Andreas Vochtel und seine Fis-Kollegen bei der Gepäckkontrolle. Bei der Prüfung der eingecheckten Koffer fängt die Fis oft schweres Geschütz ab - Waffen zum Beispiel. Wenn einer der Mitarbeiter auf seinem Röntgen-Bildschirmbild trotz aller Technik einen Gegenstand im Reise-Gepäck nicht genau identifizieren kann, "wird der Passagier direkt ausgerufen". Dann heißt es: Koffer auf, auspacken, Gegenstand raus und erklären. Im besten Fall geht die Reise für den Fluggast danach unbeschadet weiter. Die MacInallys warten immer noch am Abfluggate, ihre Bordtickets fest im Griff, den Blick immer auf den Schalter an der Tür. Doch bis zum Abflug wird noch Zeit vergehen. Die Koffer der vier Iren sind gerade bei August Poh. Poh wartet am Fließband hinter dem Eincheck-Schalter auf das Gepäck, um es vom Band auf die Wagen zum Flugzeug zu legen. Alles per Hand. "So um die 300 bis 400 Gepäckstücke sind es in der Stoßzeit", erzählt der Mann mit dem grauen Schnäuzer. Pro Stunde, versteht sich. Landet denn auch schon mal ein Koffer im falschen Flieger? "Das kommt selten vor." Auch bei Familie MacInally kommt Bewegung ins Spiel. Die Dame vom Bodenpersonal öffnet den Schalter, und die vier Iren machen sich auf den Weg zur Maschine. Zu Fuß. Busse zum Flieger oder direkte Schlauchverbindungen vom Gebäude zum Flugzeug gibt es auf dem Hahn nicht. Kosten sparen ist angesagt, kein Schnick-Schnack, nicht zu viel Komfort. Handarbeit statt High-Tech. Auf dem Rollfeld fahren die von August Poh beladenen Kofferwagen an den MacInallys vorbei. Das Gepäck wird von vier Männern ins Flugzeug verfrachtet. "Pro Maschine haben wir zwischen Landung und Abflug für das Ent- und Beladen 25 Minuten", sagt Thomas Klein. Ein Knochenjob. Den Lärm der Triebwerke nicht zu vergessen. Da wird jedes Wort vom Winde verweht - oder von den gelben Ohrstöpseln der Männer geschluckt. Den Lärm auf dem Rollfeld müssen auch die vier MacInallys ertragen. Die letzte Strapaze vor ihrem Flug nach Kerry. Deutsche Passagiere wiegen mehr

Damit jeder Flug ruhig verläuft, kontrollieren die Mitarbeiter der OPS, der "Flighing Ground Operations", die Daten. "Über uns laufen alle Infos", sagt Boguslav Balkuwski. Aus den Angaben über Gepäck, Passagierzahl, Maschinengröße und -gewicht, Wetter und vielen anderen Faktoren errechnen die OPS-Männer zum Beispiel Flughöhe, Fluglage und Ankunftszeit der Maschinen. Da spielt auch die Nationalität der Passagiere eine Rolle. "Deutsche wiegen in der Regel mehr als beispielsweise Italiener. Deshalb berechnen wir Maschinen mit überwiegend deutschen Gästen anders als die mit mehr Italienern", sagt Balkuwski. Auch die Maschine der MacInallys wird sicher in Kerry landen, wenn die OPS alles richtig macht. Am irischem Flughafen wird die Familie auch wieder lachen, denn am Ausgang warten Johns Eltern. Und abends werden alle zusammen die mitgebrachte Flasche Moselwein genießen.

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