Moderne Helden, moderne Sklaven

MANILA. Im Ausland zu arbeiten - der Traum der meisten Filipinos - ist in Wirklichkeit oft ein Alptraum.

"Die philippinische Wirtschaft ist importabhängig undexportorientiert." Punkt. So kann man es in jeder Statistiknachlesen. Die Bedeutung von "exportorientiert" imphilippinischen Kontext jedoch umfasst einiges mehr außer dem,was man landläufig darunter versteht und beeinflusst diePsychologie eines ganzen Volkes. Hauptexportprodukt der Philippinen sind neben Thunfisch und Mango vor allem Menschen. Arbeitskräfte, willig und billig - in etwa so werden sie im Ausland angepriesen. Korrekt. Wobei zu beiden Kriterien anzumerken gilt: Die Menschen werden dazu gemacht. Überall wird das westliche Ausland als eine Art "Gelobtes Land" gepriesen, in dem Milch und Honig fließen und ein jeder sein Glück machen kann. Eine erfolgreiche Werbekampagne um dem Staat Dollardevisen zu verschaffen. Tatsächlich gibt jeder Filipino, ob alt oder jung, Collegeabsolvent oder gänzlich Ungeschulter, auf die Frage nach seinen Zukunftsplänen die gleiche Antwort: Es irgendwie zu schaffen, im Ausland zu arbeiten.

"Irgendwie" beinhaltet dann auch solch skurrile Erscheinungen wie Hunderte von Ärzten, die zu Krankenschwestern und Pflegern umschulen, weil sie als solche eher in den USA eingestellt werden. Auch Jobs als Kindermädchen und oder Haushaltshilfe werden selbst bei geringer Bezahlung gerne angenommen - sogar von ehemaligen Regierungsangestellten. Wirtschaftlich ist das Land längst von dieser Erwerbsquelle seiner Einwohner abhängig. Die sozialen Auswirkungen dieses Geschäfts aber sind eine Katastrophe.

Am deutlichsten bleiben die keineswegs seltenen Fälle im Gedächtnis hängen, bei denen Filipinas im Ausland von ihren Arbeitgebern missbraucht, geschlagen oder gar getötet werden. Unterschwelliger, aber nachhaltiger, wird die Gesellschaft jedoch durch die sich weniger aufdrängenden Geschichten geprägt, die von den Opfern erzählen, die Eltern, Geschwister und Kinder für ihre Familien bringen.

Eines der vielen Beispiele ist die Familie von Joy. Seit ihrem 13. Lebensjahr arbeitet Joys Mutter in Saudi-Arabien und ihr Vater in den USA. Zuerst wurden ihre vier jüngeren Geschwister und sie von Verwandten versorgt, aber schon bald war Joy das Oberhaupt der Familie. Einmal im Jahr kommt eines der Elternteile für zwei Wochen zu Besuch - das ist das gesamte Familienleben. Finanziell geht es den fünf Geschwistern gut, sie können alle zur Schule gehen. Ein hart erkaufter Vorzug. Beide Eltern leiden sichtlich unter den schlechten Arbeitsbedingungen, würden viel lieber zurückkommen. Die Ehe ist kaputt, die Kinder in ihrer Entwicklung von der dauerhaften Trennung beeinflusst. "Ich möchte nie Kinder bekommen, denn ich kann nicht garantieren, dass es ihnen nicht ebenso ergeht und das will ich auf keinen Fall", vertraut mir Joy an. Auf den Philippinen, wo zehn oder mehr Kinder nichts Außergewöhnliches sind, ist dieser Wunsch durchaus ungewöhnlich. "Nur zur gerne würde ich heimkehren, ich habe schreckliches Heimweh nach meiner Familie und meinem Land. Aber wer soll das ganze Schulgeld bezahlen?" Ihre Mutter klingt müde. Seit drei Monaten arbeitet nun auch Joys Schwester in den USA; um ihre vierjährige Tochter, die sie zurücklassen musste, kümmern sich die restlichen Geschwister. Zukunft: ungewiss.

DIE AUTORIN TANJA GRANZOW aus Wittlich lebt zurzeit auf den Philippinen. Die 19-Jährige verrichtet dort ein Jahr lang soziale Arbeit und berichtet in unregelmäßigen Abständen für den TV.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort