"Sütterlin" darf nicht sterben

Großeltern- und Eltern-Generation haben von 1917 bis 1941 in der Schule die "Sütterlin"-Schrift gelernt, Enkel und Kinder lassen diese alte Schrift nicht in Vergessenheit geraten.

 Die fünf Grundschülerinnen Denise, Anna, Annika, Sarah und Julia haben aus Liebe zur alten Schrift einen Sütterlin-Club gegründet. TV-Foto: Marita Blahak

Die fünf Grundschülerinnen Denise, Anna, Annika, Sarah und Julia haben aus Liebe zur alten Schrift einen Sütterlin-Club gegründet. TV-Foto: Marita Blahak

Bernkastel-Kues. Auf dem Tisch haben sich Schreibblätter breitgemacht, in der Mitte liegt ein altes, reich bebildertes Lesebüchlein von 1925 mit vielen kleinen Alltags-Geschichten aus dem "Jahreszeiten-Kalender". Annika, Julia, Anna, Sarah und Denise haben sich in ihre Schreibblätter vertieft und führen mit sicherer Hand den Stift. Sie "malen" Wörter, die der neugierige Betrachter auf Anhieb nicht entziffern kann. Aber es handelt sich hier keineswegs um eine Geheim-, sondern um die (fast) vergessene alte Sütterlin-Schrift. Die Fünfergruppe hat einen "Sütterlin-Club" gegründet, der sich der Pflege der alten Schrift verschrieben hat. Die Schülerinnen aus der Klasse 4c haben Spaß daran, eine Schrift schreiben und lesen zu können, die zwar Oma und Opa noch beherrschen, die aber schon für die meisten Eltern ein "Buch mit sieben Siegeln" ist.Hier und da finden sich noch in heimischen Schubladen sorgsam aufbewahrte alte Poesiealben, deren Spruchweisheiten in Sütterlin verfasst sind. Und so wie das "Vergissmeinnicht" in einem bekannten Vers nicht "verwelkt", so sollte auch die alte Sprache nicht in Vergessenheit geraten, betont der über 70-jährige Erich Schwind. "Sie ist ein Kulturgut, und gehört zu unserem Brauchtum", sagt der Bengeler und zeigt voller Stolz das Poesiealbum seiner Ehefrau Erika aus der Zeit Anfang 1940, in das auch er sich als Jungverliebter Sütterlin-mäßig eingetragen hat. Bei den regelmäßigen Senioren-Nachmittagstreffen weckt "Sütterlin" Erinnerungen an alte (Schul-)Zeiten. Interessiert schaut auch Schwinds Enkelin oft über die Schulter des Opas, wenn er ab und zu diese unbekannten Buchstaben schreibt - und fragt ihn: "Ist das Russisch?"Alexa Marmann aus Bernkastel hütet ihr altes Sütterlin-Schulbuch "Lesebüchlein für kleine Kinder" wie einen kostbaren Schatz, denn für die alte Dame ist es immer wieder schön, in der zwar alten, aber immer noch vertrauten Schrift zu schmökern. Auch der fast 83-jährige Paul Coen denkt gerne an die alte "Schulschrift" zurück. "Hugo, hole die Leiter...", dieser "Sütterlin"-Satz aus dem Lesebuch ist Coen noch immer in lebendiger Erinnerung.Die Entstehung von Schriften, welche Möglichkeiten die Menschen hatten, sich zu verständigen, warum überhaupt geschrieben wird - dies und mehr ist Inhalt des Kapitels "Schrift und Schreiben", im Sprachbuch der Viertklässler an der Cusanus-Grundschule Kues. "Die Kinder finden das Thema sehr spannend", bestätigt Klassenlehrerin Susanne Klingel. "Spezielle Schreibübungsblätter geben als Unterrichtssmaterial Hilfestellung für alle, die Freude am Erlernen alter deutscher Schriften haben", bestätigt Schulleiterin Stefanie Reiter. "Die Sütterlin-Schrift macht Spaß, auch weil die nur noch wenige schreiben und lesen können", freuen sich Jakob, Julia und Denise, dass sie zu dazugehören. "Die ist auch wichtig, weil man dann alte Bücher entziffern kann", sagt Milad. Spannender und schöner als die normale Schrift finden Marion und Sissy "Sütterlin" - eine Schrift, die bei der heutigen Schülergeneration vielleicht genauso wenig welkt wie das vielgerühmte "Vergissmeinnicht".Extra Die Sütterlinschriften, meist auch einfach "Sütterlin" genannt, sind zwei im Jahre 1911 im Auftrag des preußischen Kultusministeriums von Ludwig Sütterlin entwickelte Ausgangsschriften. Neben der bekannteren deutschen Sütterlinschrift, einer speziellen Form der deutschen Kurrentschrift, entwickelte Sütterlin auch eine weniger bekannte, vergleichbare lateinische Sütterlinschrift. Die deutsche "Sütterlin" wurde ab 1915 in Preußen eingeführt. Sie begann in den 1920er Jahren die deutsche Kurrentschrift abzulösen und wurde 1935 in leicht abgewandelter Form Teil des offiziellen Lehrplans. Mit dem Verbot der deutschen Sütterlinschrift 1941 wurde die auf Grundlage der lateinischen Sütterlinschrift entwickelte deutsche Normalschrift als Ausgangsschrift an den Schulen verwendet.

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