"Das ist eine Zumutung"

Arzfeld · Walter Ewertz hilft afghanischen Flüchtlingsfamilien in Arzfeld. Dass sie in ihr angeblich ungefährliches Heimatland abgeschoben werden sollen, hält er für ein zweifelhaftes Vorgehen - und verlangt eine andere Auslegung der Gesetze.

Arzfeld Seit fast eineinhalb Jahren betreut Walter Ewertz als ehrenamtlicher Mitarbeiter des DRK die drei afghanischen Flüchtlingsfamilien, die in Arzfeld wohnen. 14 Menschen sind es insgesamt, vom Baby bis zum Erwachsenen in den Vierzigern. Und er macht sich Sorgen um sie. Denn es drohen ihnen die Ablehnung des Bleiberechts und eine Abschiebung innerhalb von 30 Tagen.
Eine der Familien gehört in ihrem Heimatland einer kleineren Volksgruppe an: den Hazara - zumeist Schiiten, die von den anderen Ethnien unterdrückt und verfolgt werden. Ihnen, sagt er, "galten die beiden größten Anschläge zuletzt in Kabul. Denen zu sagen, dort könne man sicher leben, ist eine Zumutung".
Ewertz ist kein völlig Ahnungsloser, was das asiatische Land betrifft: Einer seiner letzten Einsätze vor dem Ruhestand führte den Bundeswehr-Oberst nach Afghanistan. Er wolle sich gewiss nicht als großen Experten hinstellen, sagt er. Aber er könne durchaus beurteilen, "was dort in den letzten Monaten passiert". Gerade im vergangenen Jahr habe sich die Zahl der Anschläge und kriminellen An- und Übergriffe so erhöht, "dass man nirgendwo im Ernst von einer sicheren Situation ausgehen sollte".
Die Anhörungsprotokolle der drei Familien, sagt er, "geben Zeugnis schlimmster erlittener Schicksale". Die Liste der Vergehen ist lang: Mord, Todesdrohungen, Entführung, Einbruch, Körperverletzung, Einschüchterung von Frauen und Kindern, Erpressung, Androhung der Zwangsheirat. Das alles mache die Flucht - nach dem Verkauf von Hab und Gut für die Zahlungen an die Schleuser "nur zu verständlich".
Ewertz und die anderen Helfer unterstützen die Familien, wo sie können: Deutschunterricht, Vermittlung von Praktika und Arbeitsplätzen, Hilfe bei Terminen mit Ärzten, Krankenhäusern, Verwaltungen - und den Dienststellen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Trier und Hermeskeil.
Alle Antragsteller, sagt Ewertz, machten sich nach den Anhörungen Hoffnung auf eine Anerkennung als Asylanten und auf ein Bleiberecht in Deutschland. Am liebsten an ihren neu bezogenen Wohnorten in der Eifel. "Es kam und kommt aber anders. Die bisherigen Bescheide sind zuallermeist negativ." Einige stünden noch aus, in diesen Familien gehen "das Zittern und Bangen weiter". Dabei habe man schon viel für die Integration tun können, mit großer Unterstützung der regionalen Träger, der Verwaltungen in Kreis und Gemeinden und auch der Agentur für Arbeit und etlicher Eifeler Firmen.
"Die Kinder gehen mit gutem Erfolg in die Schulen, und sie treiben Sport in den Vereinen", sagt er. "Die Erwachsenen verhalten sich freundlich und unauffällig, stehen stets für gemeinnützige Arbeiten parat, und nach erfolgreichen Praktika bei lokalen Firmen konnten erste Arbeitsverträge geschlossen werden." Dabei werden die Löhne verrechnet mit den Sozialleistungen für die Familien, "und dadurch werden uns diese Flüchtlinge auch nicht mehr ,auf der Tasche liegen‘".
In einer der Familien wurde ein Baby geboren; insgesamt bestehe zwischen Flüchtlingen und Einheimischen "eine vertrauens- und hoffnungsvolle Einstellung, zumal die Flüchtlinge keine Ablehnung aus der hiesigen Bevölkerung erleben mussten". Erhalten sie dann die ablehnenden Bescheide vom Bundesamt, sei das "für alle ein Schock. Diese rein juristisch gehaltenen und als Text-Bausteine formulierten Darstellungen werden weder von den Antragstellern noch auch von den ehrenamtlichen Unterstützern verstanden, zumal ganz offensichtlich die angeführten Gesetze nur zu Ungunsten des Antragstellers ausgelegt werden".
Und das genau sei der Punkt: Die Gesetze können nämlich auch anders ausgelegt werden. Was ihn besonders stört: "Dass dabei das Verhalten der Leute im Rahmen ihrer Integration überhaupt nicht berücksichtigt wird."
Denn wenn man sich näher mit den Kommentaren zu den angeführten Gesetzen beschäftige, werde klar, dass auch eine positive Entscheidung möglich wäre - und "in einigen Fällen hätte erfolgen können, ja müssen". Stattdessen werde zum Beispiel der Vorwurf erhoben, die Familien hätten nach den erlittenen Angriffen "ja innerhalb Afghanistans umziehen können", um der Verfolgung zu entgehen. Dann heiße es, "dass eine subjektiv empfundene Bedrohung noch nicht eine Flucht außer Landes rechtfertigt" - es sei ja "noch nichts geschehen".
Dass bei Rückkehr nach Afghanistan keine ernsthafte Gefahr bestehe, hält Ewertz für "eine wahrlich stramme Aussage". Das bedeute für den Flüchtling, dass alle seine Bemühungen um Integration "keinerlei Rolle spielen. Er hätte genauso gut die vielen Monate nur ‚rumhängen‘ können".
Die Folge: Auch unter den Ehrenamtlichen machen sich Enttäuschung und Frust "deutlich erkennbar breit", zumal offenkundig politischer Wille sei, "so viele so rasch wie möglich abzuschieben".
Ewertz' Fazit: "Es ist schade, dass unserer Gesellschaft auf diesem Wege viele Familien und auch Einzelpersonen verloren gehen, deren weiterer Verbleib mit fortgesetzter Schul- und Berufsausbildung sowie als Berufstätige in den Firmen ein Gewinn für Deutschland bedeuten würde."
DIE AKTUELLE PRAXIS BEI DER ABSCHIEBUNG


Extra

Derzeit schiebt Rheinland-Pfalz Flüchtlinge aus Afghanistan nicht ab - die Landesregierung stellt sich mit einigen anderen Bundesländern, darunter Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Thüringen, damit vorläufig noch gegen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Dessen Ministerium hatte im Oktober ein Rückführungsabkommen mit Afghanistan geschlossen - und die Bundesländer dazu aufgefordert, abgelehnte Bewerber abzuschieben. Die Länder haben allerdings die Möglichkeit, Abschiebungen für drei Monate auszusetzen. Ein Abschiebestopp über einen längeren Zeitraum muss mit der Bundesregierung abgestimmt werden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort